Das sanfte Geheimherz in den Klauen der Hysterie

Interview mit Regisseur, Co-Drehbuchautor und -Komponist Tom Tykwer über die Verfilmung von „Das Parfum“

Von Marc Hairapetian



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Zu Beginn unseres Treffens blättert Tom Tykwer im SPIRIT und liest sich die Listen der 20 Lieblingsfilme anderer Regisseure, Schauspieler und Cineasten durch.

Tom Tykwer (freut sich, dass „Das Narrenschiff“ unter den ersten Zehn der ausgezählten Filme auftaucht): „Das Narrenschiff“ ist ein unglaublicher Film! Das gibt es eigentlich gar nicht, dass der jemals gemacht wurde! Ist Oskar Werner der meistgenannte Schauspieler, was die Filme betrifft?

Marc Hairapetian: Ja, er wird bis heute sehr viel genannt.

Tom Tykwer: Ich habe selbst eine Liste erstellt, die ist 365 Filme lang. Für jeden Tag im Jahr einen Film. Sonst sind mir die Listen zu kurz, aber 365 ging eben so. (liest weiter im SPIRIT) Ist ja toll, „“2001“ und „Uhrwerk Orange“ sind auch unter den ersten Zehn, zwei Mal hintereinander Kubrick!„Fahrenheit 451“ ist hier auf Platz 5. Drei Mal Oskar Werner in einer Liste. „Jules und Jim“. finde ich einen guten ersten Platz, viel besser als „Citizen Kane“.

Hairapetian: Wo wir gerade bei Filmlisten, Kubrick und Co. sind... „Parfum“-Autor Patrick Süsskind wollte, das Stanley Kubrick sein Buch verfilmt. Hätten Sie den Film als Cineast gerne von Kubrick gesehen?

Tom Tykwer: Alles, was Kubrick gemacht hat, habe ich gerne gesehen. Leider ist er tot und es ist Spekulation. Er hat ja irgendwann das Handtuch über die Produktion geworfen. Warum, weiß ich nicht. In „Das Parfum“ habe ich immer gleichzeitig ein Roadmovie und einen Film mit einem großen zentralen Thema gesehen. Das Buch hat einen großen epischen Bogen, eine spektakuläre Auflösung und ein legendäres Finale. Aber es hat auch vor allem eines: eine extrem widersprüchliche Hauptfigur. Da kann man natürlich Kubrick nahe liegend finden. Doch das Geheimherz des Romans ist für mich ein sehr sanftes und zerbrechliches. Es erzählt die Geschichte eines Außenseiters, der eine große Sehnsucht hat und unter schwerer Einsamkeit leidet und die auf recht bizarre Weise zu überwinden sucht. Wenn man sich Kubricks Filme anschaut, sind dessen Einzelgänger oft eher von einer verbitterten oder zynischen Aggression angetrieben. Ich stelle mir vor, dass bei Kubrick die Tendenz bestanden hätte, aus diesem Roman besonders das herauszufiltern, was mit der sarkastisch-misanthropischen Note zu tun hat. Und das ist etwas, was ich nicht aus dem Roman hervorheben würde. Ich fand den Subtext interessanter, den ich in der Figur entdeckt habe, der von einer fragilen, tragischen Person handelt, die mit wahnsinnig großer Geste versucht, ihre Verlorenheit zu verbergen. Ich habe natürlich den Film gedreht, den ich für den richtigsten und besten halte, den man aus dem Roman machen kann. Ich bin sicher, dass er anders geworden ist, als der den Kubrick gemacht hätte.

Christiane Kubrick sagte mir, ihr Mann meinte, der Roman wäre letztendlich unverfilmbar. Gibt es für Sie als Regisseur so etwas wie eine unverfilmbare Vorlage?

Tykwer: Das gibt es ganz oft. Unglaublich viele Romane sollte man einfach in Ruhe lassen, weil sie der Literatur gehören und nicht dem Kino. Wenn aber die Herausforderung ist, mit einer anderen Sprache ein neues ästhetisches Konzept für eine Idee zu finden, kann ein Film angemessen sein. Beim „Parfum“ war das für mich der Fall, doch ich finde es zum Beispiel aberwitzig, sich an Marcel Proust ranzumachen, wobei: Der Film „Eine Liebe von Swann“ von Schlöndorff ist ziemlich interessant, aber ich finde dennoch, der Text von Proust steht für sich, er hat etwas solitäres und hat im Kino letzlich nichts verloren.

Hatten Sie Schwierigkeiten das für die Buchvorlage immanent wichtige Phänomen des Riechens filmisch zu realisieren?

Tykwer: Ich fand das nie so ein Problem, dass das ein Film kann. Süsskind hat ja auch keine Riechkarten zu seinem Buch mitverteilt. Es war für mich gerade eine der großen Freuden an diesem Projekt, mit filmsprachlichen Mitteln einen Vorgang zu übersetzen, den Süsskind auf literarische Weise in Angriff genommen hat.

Zusammen mit Johnny Klimek und dem ehemaligen Spliff-Musiker Reinhold Heil zeichnen sie sich auch für die von den Berliner Symphonikern unter Sir Simon Rattle eingespielte Filmmusik verantwortlich, die sehr viel zur Atmosphäre des „Parfums“ beiträgt.

Tykwer: Wir haben über den gesamten Produktionszeitraum an der Musik gefeilt. Manchmal kam mir die Idee für ein musikalisches Thema, und ich rannte zum Telefon und sang es mir selbst auf die Mailbox. Dreiviertel des Scores waren schon während der Dreharbeiten fertig, so dass wir ihn vor Ort einspielen konnten. Dies setzte besondere Energien frei, vor allem bei Grenouille-Darsteller Ben Whishaw, der häufig keinen direkten Gegenspieler hatte und sich so besser in sein Einsamkeitssetting einfühlen konnte.

Bei Süsskind hat man immer wieder gemutmaßt, seinen Figuren seien autobiographisch gefärbt. Wie viel Tykwer steckt im „Parfum“ drin, außer der Tatsache, dass Ben Whitshaw Ihnen ähnlich sieht?

Tykwer: Ich kann überhaupt keinen Film machen, wenn ich nicht persönlich nachempfinden kann, was die Personen antreibt und bewegt. Ich glaube daran, dass man eine subjektive Verstrickung des Filmemachers braucht und zwar nicht nur die des einzelnen Regisseurs, sondern der ganzen Gruppe. Bei mir sind das Leute, mit denen ich seit vielen Jahren zusammenarbeite wie Kameramann Frank Griebe und Ausstatter Uli Hanisch. Die Stimme, die aus diesem Film spricht, ist unsere gemeinsame Stimme. Auch Produzent Bernd Eichinger und Co-Autor Andrew Birkin gehören dazu.

Wie war die Zusammenarbeit mit Birkin, der einst als Laufbursche in Kubricks „2001“ begonnen hat und später eigene Filme wie „Brennendes Geheimnis“ inszenierte?

Tykwer: Andrew hat auch die Second Unit bei den Landschaftsaufnahmen für den Trip am Schluss bei „2001“ betreut. Wir haben uns viel darüber unterhalten. (Tykwers Handy klingelt. Er unterbricht das Gespräch kurz mit den Worten: „Tut mir leid. Es ist heute ein Tag, wo ich leider rangehen muss.“ Es ist Wim Wenders, der bei der Berliner Premiere verhindert ist. Tykwer bedauert, dass sich Wenders nun wohl eine Eintrittskarte für „Das Parfum“ kaufen muss. Gelächter und weiter geht das Gespräch.) Andrew, Bernd und ich waren in Grasse zur Recherche vor Ort. Andrew ist ein Besessener, was Arbeitsprozesse betrifft, zudem ein Universalgelehrter, sowohl Physikspezialist als auch Historiker, kurz ein Bildungsmonster im besten Sinne. Zusammen haben wir gelernt, wie man nach älteren Methoden Essenzen destilliert hat. So haben wir wie im „Parfum“ Pomade durch in Blüten getränktes Tierfett hergestellt. Es hat wirklich großen Spaß gemacht, weil er ein absolut radikaler Freigeist ist, mit Sicherheit der neugierigste Mensch, den ich je getroffen habe.

Warum führt er selbst nicht mehr Regie?

Tykwer: Das liegt an seinem bewusst gewählten, leicht chaotischen Lebensweg, die Dinge immer dann kommen zu lassen, wenn sie richtig sind. Er ist einfach kein zielstrebiger Karrierist und befreit von jedwedem Konkurrenzdenken. Andrew ist ein reiner Kreativer im Ursinn – und das hat ihn so wertvoll für die Verfilmung von „Das Parfum“ gemacht.

Ein reiner Kreativer im zurückgezogenen Sinn ist „Parfum“-Autor Patrick Süsskind. Ist er für Sie der Künstler im Hölderlin-Turm oder jemand der seinen eigenen Hype bewusst kreiert hat?

Tykwer: Das ist kein Hype. Ich habe ihn getroffen und weiß, dass er mit dem Öffentlichkeitswahn nichts zu tun haben will. Es würde ihn überfordern und davor schützt er sich. Ich kann das verstehen. Bei der Premiere in München war ich auch in den Klauen der allgemeinen Hysterie. Das war eine echte Anforderung an die eigene Psyche. Man geht ja da hin, weil man etwas Künstlerisches teilen will und dann entsteht da ein Drumherum, das mit den tatsächlichen Inhalten gar nichts mehr zu tun hat. Und „Das Parfum“ ist noch obendrein ein Film, der Prominenz, Glamour und die Idee einer artifiziell hergestellten, überhöhten Identität kritisch thematisiert. Wenn man dann wie ich selbst durch diese Maschinerie läuft, in der sich einzelne hervorheben und andere genau diesen zujubeln, fühlt sich das manchmal schon ein bisschen absurd an.

Das Gespräch führte Marc Hairapetian am 8. September 2006 im Berliner Hotel The Ritz- Carlton.

( Foto: Georg Meier Otto)