„Ich bin mit dem schlechtesten Geschmack der westlichen Zivilisation gesegnet“

Ein exklusives Spirit-Ein-Lächeln-im-Sturm-Gespräch mit Hugh Grant über seine fortdauernde Fehlbesetzung als Gentleman, eine Schlammwiese von Andreas Gursky und den Geschmack von Europudding

 

Von Daniel Kothenschulte

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Der englische Schauspieler Hugh Grant (42) ist seit nunmehr zwei Jahrzehnten eine feste Größe im englischen Kino, das er mit Filmen wie „Maurice“ oder „Drei Hochzeiten und ein Todesfall“ prägte. Spätestens seit den Welterfolgen von „Sinn und Sinnlichkeit“ und „Notting Hill“ ist er – privaten Skandalen zum Trotz – auch ein gefragter Hollywoodstar. Vergangene Woche erhielt er die Goldene Kamera, gerade ist mit ihm die Komödie „Ein Chef zum Verlieben“ angelaufen.

Spirit: Wenn man Ihren neuen Film sieht, hat man den Eindruck, dass die Wirtschaftskrise doch zu etwas gut ist – es gibt wieder soziale Komödien wie in den Dreißiger Jahren, als jeder vom Reichtum träumte.

Hugh Grant: Mir ist aufgefallen, dass der Autor und Regisseur Marc Lawrence sehr an den Komödien der 30er Jahre interessiert ist, aber eher in Fragen von Chemie und Schlagfertigkeit zwischen den Figuren. Ich weiß nicht, ob er sich Ihrer sozialen Interpretation anschließen würde.

Spirit: Sie jedenfalls sind Ihrer sozialen Herkunft, wie man hört, ausgesprochen treu geblieben. Sie sollen eine ganze Straße in Ihrem Londoner Viertel erworben haben.

Hugh Grant: Das habe ich auch im Internet gelesen. Das ist natürlich völliger Unsinn. Ganz versehentlich haben sich vier Immobilien in derselben Gegend von London in meinem Besitz angesammelt. Aber ich habe die ernsthafte Absicht, mich von einigen wieder zu trennen.

Spirit: Die sind in Notting Hill, nehme ich an?

Hugh Grant: Nein, nein, ich hasse Notting Hill! Es ist Chelsea.

Spirit: Also, wieso haben sich die Wohnungen bei Ihnen angesammelt?

Hugh Grant: Ich habe meine alte Wohnung, die ich hatte, als ich Single war. Aber das bin ich jetzt ja wieder. Ich meine, als ich ein armer Schauspieler war. Und ich mochte sie so sehr, dass ich sie behalten habe. Ich bezahle ein Mädchen, dass sich um meinen Vater kümmert, und sie füllt bei mir auch jeden Tag den Kühlschrank frisch auf. Und dann ist da die, die ich mit Elizabeth (Hurley – die Spirit-Redaktion) hatte, worin sie jetzt wohnt mit ihrem Baby. Und dann ist da noch ein Haus, das ich gekauft, aber immer gehasst habe. Und dann habe ich noch dieses super hippe Penthouse erworben. So ein richtiges Junggesellen-Liebesnest! Es ist genau genommen ziemlich lächerlich. Es gehörte vorher einem Dotcom-Millionär, der pleite gegangen ist. Es ist die Sorte Wohnung, in der Dr. Evil wohnen würde. Das Penthouse ist riesig, hat einen Mehrpersonen-Whirlpool und das Bett ist ein einziges Kino! Ich werde da wohl bald endlich einziehen.

Spirit: Das meine ich mit dem eigenen Milieu treu bleiben: Die erste Bude zu behalten als hübsches Souvenir.

Hugh Grant: Ha, ha, nein, nein, jetzt muss ich aber doch klar stellen, woher ich komme. Ich bin ohne einen Pfennig aufgewachsen. Meine Eltern hatten gar kein Geld, obgleich heute viele denken, ich käme aus reichen Verhältnissen.

Spirit: Und die Elizabeth-Hurley-Wohnung war die, über die zu lesen war, sie hätten sie für eine halbe Million Dollar von einem Innenarchitekten zu Grunde richten lassen?

Hugh Grant: Ich habe in meinem Leben insgesamt sechs Innenarchitekten angestellt, und sie waren alle eine Katastrophe. Aber nicht so schlimm, als wenn ich es selbst gemacht hätte. Ich bin mit dem schlechtesten Geschmack der westlichen Zivilisation gesegnet.

Spirit: Wieso? Was würden Sie sich denn Schlimmes kaufen?

Hugh Grant: Ich gebe mir solche Mühe, aber es geht immer schief. Das erste Haus, das ich mit meinem Bruder bewohnte, war so scheußlich eingerichtet, dass die Leute meilenweit anreisten, um zu sehen, wie schlimm es war.

Spirit: Wie kriegen Sie das hin? Kaufen Sie zum Beispiel Kunst?

Hugh Grant: Das mache ich heute. Nicht viel, ich habe da so einen inneren Zwiespalt. Die eine Hälfte in mir sagt sich: Kunst sieht cool an der Wand aus und beeindruckt Mädchen. Aber die andere sagt sich, ich habe lange Kunst studiert und bin dabei allmählich zu dem Schluss gekommen, dass moderne Kunst in den meisten Fällen Mist ist.

Spirit: Dann geht es Ihnen wie Ihrem Landsmann Prinz Charles bei der modernen Architektur.

Hugh Grant: Prinz Charles spricht über Architektur, ich über Kunst. Und anders als seine ist meine Ansicht keine Spießeransicht, meine kommt aus einer informierten Ecke, keiner unwissenden.

Spirit: Aber gehört nicht die junge englische Kunst zu den angesehensten Strömungen der Gegenwart? Nehmen wir zum Beispiel Damien Hirst.

Hugh Grant: Das meine ich ja mit: sieht cool aus auf der Wand, und Damien Hirst hat ganz bestimmt Talent, aber er und sein Werk sind ein Haufen Scheiße gemixt in das, was sich Britart nennt. Ich habe einen Gursky, um mal über deutsche Kunst zu reden. Und den sehe ich mir dann an und denke: Ist der wirklich gut, oder bin ich nur ein verdammter Trottel?

Spirit: Ist es ein schickes Gursky-Foto mit Prada-Schuhen oder tausend Volkswagen?

Hugh Grant: Nein, ganz im Gegenteil. Es zeigt eine schlammige Wiese in Deutschland. Wenn ich die in der Galerie sehe, von denen Sie sprechen, sehen sie toll und riesig auf der Wand aus, aber ich frage mich, ob man uns in 200 Jahren nicht für ziemlich dumm halten wird. Es ist vor allem die falsche Pietät gegenüber Kunst, die mich immer davon abgehalten hat, da mitzumachen.

Spirit: Wie ist man dann um Himmels Willen darauf zu kommen, Sie ständig als distinguierten Intellektuellen zu besetzen?

Hugh Grant: Werde ich das? Sie meinen in meinen Filmen?

Spirit: Na, ihr „Chef zum Verlieben“ ist ein ziemlicher Snob.

Hugh Grant: Er war sicher mal ein begeisterter Anhänger der Architektur, als er jünger war. Aber genau wie bei mir, ist die Anzahl gelesener Bücher pro Jahr bei ihm stark gesunken.

Spirit: Aber es ist doch ungewöhnlich, so einen Snob als Helden in einem amerikanischen Film zu sehen.

Hugh Grant: Ist es das? Ich habe schrecklich lange keinen amerikanischen Film mehr gesehen. Dieser Mensch ist einfach ein schrecklicher Egoist und sich seiner Fehler absolut bewusst. Und er ist von sich selber enttäuscht. Er war ein Workaholic und wurde dann einfach zu reich, war auf zu vielen Partys und hat mit zu vielen Frauen geschlafen. Und obwohl er es immer noch sehr lustig findet, ein Playboy zu sein, wird der Witz doch allmählich flau. Und damit kann ich mich natürlich voll identifizieren.

Spirit: Glauben Sie, es ist gefährlich, mit zu vielen Frauen zu schlafen?

Hugh Grant: Ich glaube, am Ende liegt die Erlösung schon in Heirat und Kindern. Ich lese gerade Michel Houellebecq, sein Buch „Plattform“. Bücher mit schmutzigen Stellen sind mir die liebsten. Die schätze ich sehr, aber der Rest ist so unglaublich deprimierend. Er sagt, dass uns die Verlockungen des Kapitalismus, von denen wir denken, sie seien ein Segen, sexuell und emotional vollkommen verdorben und verarscht haben, jedenfalls habe ich ihn so verstanden. Ich sollte schnell die Rezensionen auf Amazon.com lesen und nachsehen, ob ich das Richtige denke.

Spirit: Finden Sie auch wie er, dass der Islam die dümmste Religion der Welt ist?

Hugh Grant: Nein, hat er das wirklich gesagt?

Spirit: Vor Gericht verteidigte er sich dann mit dem Satz, auch die Bibel habe langweilige Stellen.

Hugh Grant: Also, das ist ja nun wirklich nicht so schlimm.

Spirit: Themawechsel. Ihre Filmkarriere reicht zurück in die Glanzzeit des Neuen Britischen Kinos in den frühen 80igern. Ihr erster Erfolg war „Maurice“. Wie hat sich das englische Kino seither entwickelt?

Hugh Grant: Die Schwierigkeit beginnt damit, zu sagen, was der englische Film ist. Ich komme gerade von der Verleihung der Britischen Filmpreise des Evening Standard. Es ist eine grundsätzliche Frage: Was ist ein Film? Ist er ein persönlich-künsterisches Statement wie ein Gedicht zu schreiben oder ein Bild zu malen? Oder ein Geschäft zur Massenunterhaltung? Es hängt also sehr davon ab, was man darunter versteht. Was den Kunstfilm betrifft, hat sich wenig geändert seit meiner Anfangszeit. Wir machen vier bis fünf gute Filme im Jahr und dann zwanzig schlechte, und das war immer so.

Spirit: Das ist verglichen mit Deutschland eine tolle Quote.

Hugh Grant: Es gab schon Jahre, in denen es keine zwei sind, aber auch welche, in denen es etwas mehr waren. Aber es ist konsistent. Und trotzdem fragen mich Journalisten überall auf dem Kontinent: Was halten Sie von der Renaissance im britischen Kino? Ich habe das ehrlich gesagt nie gemerkt. Das einzig Neue ist die auch kommerzielle Orientierung, maßgeblich geprägt durch die Firma „Working Title“: Man öffnet das Filmemachen ein Stück weit Hollywood und dem Neuen Markt, was ja nicht immer etwas Schlechtes ist.

Spirit: Sind denn britische Filme für Sie überhaupt noch von Interesse?

Hugh Grant: Vor allem britische Filme. Ich bin einfach am besten in ihnen. Eine Ausnahme ist „Ein Chef zum Verlieben“, in dem ich mich auch gut finde, der aber sehr schwer zu machen war mit all den Witzen und Pointen. Dazu ist dann schon eine besondere technische Finesse erforderlich.

Spirit: Sie sind darin wirklich gut, das wollte ich die ganze Zeit schon sagen.

Hugh Grant: Ach Gott, ist das nett, dass Sie das sagen. Danke!

Spirit: Früher haben Sie eine Menge Filme gemacht von der Sorte, die man als Europudding bezeichnet.

Hugh Grant: Oh ja, eine ganze Menge. Einer wurde sogar in München gedreht. Es ist der seltene Fall eines Films, der überhaupt nirgendwo auf der Welt herausgekommen ist, in keinem Medium, irgendwo auf der Welt.

Spirit: Da fallen mir aber eine ganze Menge deutscher Filme ein!

Hugh Grant: Nach dem Erfolg von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ tauchte er jedes Jahr aufs Neue in Cannes auf und suchte einen Käufer. Immer musste ein trauriger Verkäufer versuchen, ihn den Leuten andrehen. Der Film hieß „Night Train to Venice“. Ich habe ihn nie verstanden.

Spirit: Ach der, inzwischen hat man ihn umbenannt in “Train to Hell”.

Hugh Grant: Dann wird er jetzt sicher ein Erfolg! Ach, das Drehbuch war ganz fürchterlich und nicht zu verstehen, aber ich brauchte das Geld. Ich erinnere mich genau, wie ich am ersten Drehtag mit dem Regisseur zusammen saß, der Italiener war und sagte „Zis scrrriipt iz rubish.“ Wir müssten uns Tag für Tag etwas anderes ausdenken. Und das haben wir dann auch gemacht. Aber das Nachtleben in München war super.

Spirit: Es gab aber auch anspruchsvollere europäische Koproduktionen, darunter ein Film mit Ihnen als Chopin, „Impromptu“...

Hugh Grant: Das war intelligenter Eurotrash. Der Regisseur war James Lepine, der Stephen Sondheims Musicaltexte schreibt. Gedreht wurde in Frankreich, und das schien mir sehr unangenehm für Herrn Lepine, denn „le pine“ heißt natürlich dort „der Penis“. Keiner in Frankreich konnte ihn damit ernst nehmen. Außerdem hatten wir schrecklichen Ärger mit den Perücken, denn es war natürlich so ein richtiger Perückenfilm. Wir alle, Julian Sands, Judy Davis, ich, kriegten alle die gleiche Perücke. Und keinem hat sie gepasst! Es hätten zwei meiner Köpfe hineingepasst. Aber der Film war nicht schlecht. Emma Thompson war sehr gut darin.

Spirit: Haben Sie nicht Sehnsucht danach, mehr dramatische Rollen zu spielen?

Hugh Grant: Mir ist es egal, ob sie dramatisch sind, wichtiger ist, dass es alle drei Seiten lustig wird. Für ein Kammerspieldrama bin ich nicht der richtige Typ, glaube ich.

Spirit: Aber Sie haben früher häufig Theater gespielt.

Hugh Grant: Ja, aber meistens in Komödien. Aber auch das musste ich aufgeben, weil ich dieses Lachproblem hatte. Wann immer ich etwas Lustiges sagte und die Leute lachten, freute ich mich so, dass ich auch gelacht habe. Es wurde ein ernstes Problem. Ich hatte eine Comedy Show und genau deshalb mussten wir es aufgeben.

Spirit: Das passiert beim Filmen doch sicher auch.

Hugh Grant: Ja, vor allem in „Ein Chef zum Verlieben“. Zwar lacht dort kein Publikum, aber immer, wenn sich meine Augen mit denen von Sandy Bullock getroffen haben, ist es passiert. Wir waren beide gleichermaßen infantil.

Spirit: Müssen Sie nicht als Engländer in Hollywood ein bestimmtes Klischee bedienen?

Hugh Grant: Ich bin wahrscheinlich die Ausnahme. Britische Schauspieler sind nämlich eigentlich sehr angesehen. ‚Der ist ein großer Schauspieler: Der spielt Hamlet’. Ralph Fiennes, Daniel Day Lewis, Anthony Hopkins, sie alle gelten als große Schauspieler. Ich bin wahrscheinlich der einzig andere. Mit dem Lebensstil hat das aber nichts zu tun, weil Schauspieler grundsätzlich unglaublich langweilige Leben führen.

Spirit: Das tun sie. Und sie sammeln moderne Kunst.

Hugh Grant: Das ist nicht so schlimm, aber die meisten noch nicht mal. Sie geben sich nicht das High Life mit Partys und sechzehn Frauen, die Anstrengung machen sie sich nicht. Je besser die Schauspieler, desto leiser sprechen sie. Haben Sie letztlich mit Johnny Depp gesprochen? Der flüstert, dass man ihn gar nicht mehr hören kann. Oder Gene Hackman. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, ob ich ein guter Schauspieler bin, falsche Bescheidenheit beiseite. Das einzige, worin ich wirklich gut bin, ist Rollen auszusuchen. Ich sehe die Qualität von Drehbüchern. Ich habe noch nie eine Drehbuch ausgeschlagen, die sich später als Erfolg herausgestellt hat.

Mit Hugh Grant sprach Daniel Kothenschulte