Dante Feretti

„Es muss nicht immer weiß sein“

 

Interview mit Production Designer Dante Ferretti


Von Marc Hairapetian

Der am 26. Februar 1943 im italienischen Macerata geborene Dante Ferretti gehört zu den renommiertesten Filmarchitekten der Welt. Sein Stil zeichnet sich durch besonderen Einfallsreichtum bei der Kreation fantastisch-sinnlicher Traumwelten aus. Er schuf die Dekors für Pier Paolo Pasolinis „Medea“ (1969), „Erotische Geschichten aus 1001 Nacht“ (1973) und „Die 120 Tage von Sodom“ (1975), Federico Fellinis „Stadt der Frauen“ (1978/79), „Schiff der Träume“ (1982) und „Ginger und Fred“ (1985), aber auch zahlreiche Hollywood-Filme. Dem vielfach preisgekrönten Production Designer fehlt nur noch der Oscar; er gilt mit seiner Arbeit für Martin Scorseses „The Aviator“ in diesem Jahr als großer Favorit. Auf der Berlinale nimmt er zusammen mit Emi Wada und Walter Salles den Filmnachwuchs beim Talent Campus als Pate unter seine Fittiche. Sein nächster Film, Brian De Palmas Thriller „The Black Dahlia“, befindet sich gerade in der „post production“.

Wie kamen Sie zur Filmarchitektur?

Dante: Ferretti: Ich habe mich von Kindesbeinen an für meine Umwelt interessiert und die Umgebung erkundet. Schon früh, stand für mich fest, dass ich einmal Architekt werden wollte. Nach meinem Schulabschluss in Macerata ging ich nach Rom, wo ich die Accademia di Belle Arti besuchte. Dort tauchte auch immer wieder bei Vorlesungen der von uns allen verehrte Meister Luigi Scaccianoce auf, der auch im Filmbereich wirkte und unter anderem für Fellini und Pasolini arbeitete. Zum Kino kam ich als sein Assistent wie die Jungfrau zum Kinde. Es war zunächst nicht meine Absicht, aber das Metier mit seinen An- und Herausforderungen gefiel mir. Ich musste nicht langweilige Büroräume entwerfen, sondern konnte architektonisch in andere Welten und Zeiten eintauchen und trotz gewisser Vorgaben meiner Fantasie freien Lauf lassen. Sie selbst sehen ja den Unterschied der Bauten und Dekorationen zwischen dem sehr kargen, auf wesentliche reduzierten „1. Evangelium Matthäus“ und dem üppigen, dekadenten „Satyricon“. Mit 26 Jahren wurde ich dann Chefarchitekt des antiken „Medea“-Dramas. Wenn ich ehrlich bin, ist es nicht gerade mein Lieblingsfilm, doch Räume für die einzigartige Callas zu entwerfen, die hier auch schauspielerisch eine gute Figur macht, war mir eine große Ehre und Freude.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen den Begriffen Production Designer und Art Director?

Dante Ferretti: Nein, jetzt ist Production Designer der Überbegriff, für jemanden der die Verantwortung bei Set-Entwürfen und Dekors trägt. Er wurde von meinem Kollegen Ken Adam, der mit dem War Room in Kubricks „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“ wirklich eine unübertroffene Arbeit ablieferte, erfunden. Früher war der Art Director der Boss und sein Assistent der zweite Mann, jetzt ist der Production Desiger Nummer Eins und der Art Director Nummer Zwei. Moderne Zeiten. Ich kümmere mich nicht viel um die Wortklaubereien. Vielleicht gibt es irgendwann auch Supervisor Director für den Regisseur.

Wo Sie gerade von „modernen Zeiten“ sprechen. Womit machen Sie Ihre Entwürfe lieber – mit dem Computer oder mit Papier, Pinsel und Stift?

Dante Ferretti: Ich bevorzuge Papier, Pinsel und Stift, nicht aus dem Grund, weil ich Computer nicht mag, aber diese Dinger funktionieren immer wieder nicht, können abstürzen und dergleichen. Außerdem sind meine Entwürfe meist sehr groß, bis zu zwei Meter. Solche Laptops gibt es nicht. Noch ein Argument: Der Eindruck auf den Betrachter ist sinnlicher, als die Darstellung auf dem Bildschirm.

Wo holen Sie sich Ihre Inspiration her?

Dante Ferretti: In meinem Pass müsste eigentlich als Berufsbezeichnung „Neugieriger“ stehen. Ich schaue mich ständig in der Welt um, wie zum Beispiel hier, wo wir gerade sitzen. Dieser Raum in der „Schwangeren Auster“, wo wir unser Gespräch führen, ist nicht gerade schön, geschweige denn behaglich. Also denke ich mir: wie könntest Du ihn angenehmer gestalten? Eine dezente Vase mit einigen Blumen auf den Tisch, die Wände könnten einen neuen Anstrich gebrauchen. Es muss nicht immer weiß sein. Und so weiter und so fort. Ich speichere Unmengen an Eindrücken auf meiner geistigen Festplatte und rufe sie dann ab, wenn es für einen Film gebraucht wird. Selbst ein Coffee Shop kann mich inspirieren – und selbstverständlich die Geschichte eines Films. Wenn die Geschichte schlecht ist, können das auch die gewaltigsten Bauten nicht kaschieren.

Sehen Sie Unterschiede bei der Zusammenarbeit mit europäischen Regisseuren und denjenigen, die aus Hollywood kommen?

Dante Ferretti: In der Tat. Die Filmemacher in Europa, die sich häufig das Prädikat „auteur“ verleihen, weil sie Regie führen und auch das Drehbuch schreiben, diskutieren viel mehr mit mir, haben mehr eigene Ideen, ob es sich um Pier Paolo Pasolini handelt oder Jean-Jacques Annaud, der genaue, manchmal unrealisierbare Vorstellungen einer mitteralterlichen Klosterburg bei „Der Name der Rose“ hatte. Das kann natürlich fruchtbar sein, aber auch zeitaufwendig und anstrengend. Da ich von Natur aus sehr faul bin, sehne ich den Tag herbei, wo ich die architektonischen Entwürfe für einen Film in nur einem Tag erledige. Ich sehne es nicht nur herbei, ich habe letzte Woche sogar davon geträumt. Als ich aufwachte, war ich ganz enttäuscht. In Hollywood ist das anders – da habe ich praktisch alle Freiräume, selbst bei großen Produktionen wie „Gangs of New York“ oder „The Aviator“. Martin Scorsese mischt sich eigentlich nie ein – und deswegen arbeiten wir seit „Zeit der Unschuld“ mehr oder weniger fest zusammen. Interessant, wo er an sich gerne diskutiert und auch italienisches Temperament hat.

Welches Kino ist Ihr Kino?

Dante Ferretti: Ich mag das Kino wie alle anderen Zuschauer, Mainstream-Produktionen mit Anspruch, Art House, dass nicht nur Kopf-Kino ist, sondern auch die Sinne anspricht, weniger erzählerische Experimente mit verwackelter Handkamera.

Und was war der beste Regisseur, für den sie tätig waren?

Dante Ferretti: Das muss ich nicht lange überlegen: Fellini, auch wenn ich ihn ehrlich gesagt häufig nicht verstanden habe. Selbst in seiner neorealistischen Phase wusste ich manchmal nicht worum es geht, auch nicht bei „Die Müßigänger“, den ich bereits als Kind sah und der mich nachhaltig faszinierte. Fellini ist immer ein Kind geblieben – das ist das schöne an ihm. Er hatte eine überbordende Fantasie. Seine Kreativität war bis zuletzt ungebrochen, auch wenn unsere letzte Kooperation bei „Die Stimme des Mondes“ nicht gänzlich geglückt ist.

Gehen Sie häufig ins Kino?

Dante Ferretti: Wie gesagt, bin ich sehr faul. Auch eine Art Müßiggänger. Ich sehe gerne Filme, aber das Problem ist, mich zu motivieren und hinzugehen. So bleibe ich sogar den meisten Premieren der Filme fern, bei denen ich mitgemacht habe.

Sie spielten angeblich einmal im Film „Mora“ mit, nur konnte ich Sie nicht darin entdecken oder waren sie kostümiert? Hat Sie nicht der Ehrgeiz gepackt, weitere darstellerische Ausflüge zu machen?

Dante Ferretti: Ich bin sehr dankbar, das richtig stellen zu dürfen. Das ist eine falsche Angabe in der International Movie Data Base. Oder würden Sie es als schauspielerische Leistung bezeichnen, wenn ich einmal durchs Bild laufe?

Tauschen Sie sich mit anderen Production Designern aus, beeinflussen diese gar Ihre Arbeit?

Dante Ferretti: Ich kenne einige von Ihnen, die ich bei Anlässen wie diesen hier auf der Berlinale auch treffe. Aber Freundschaften entstehen in diesem Job selten – gerade bei Großproduktionen ist auch der Konkurrenzdruck sehr groß. Vielleicht klingt es arrogant, aber beeinflussen tut mich keiner von ihnen. Jeder Hand hat seine eigene Handschrift – und so muss es auch sein.

Sie waren sieben Mal in der Kategorie „Best Art Direction-Set-Decoration“ bzw. „Best Archievement in Art Direction“ für den Oscar nominiert, einschließlich in diesem Jahr für „The Aviator“. Wie wichtig ist Ihnen der Preis?

Dante Ferretti: Kann ich Ihnen nicht sagen, da ich ihn bisher noch nicht gewonnen habe. Ich war sogar acht Mal vorgeschlagen, eine Nominierung erhielt ich 1997 zusätzlich auch als Costume Designer für „Kundun“. Während der Berlinale gewann ich den britischen Filmpreis BAFTA erstmals, für den ich vorher auch zwei Mal vorgeschlagen war. Ich habe also keine Angst, den Oscar zu gewinnen. (lacht)

 Das Gespräch führte Marc Hairapetian am 13. Februar 2005