„Vom ersten bis zum letzten Zug sehe ich mich als Mahner“

Filmproduzent Artur Brauner im Interview

 

Von Marc Hairapetian

Drucken

Die lebende Filmproduzentenlegende Artur Brauner präsentiert sich bei unserer Begegnung in seiner Villa im Grunewald von seiner charmantesten Seite. Zur Begrüßung stimmt er ein armenisches Lied („Hey jan, Yerevan“) an und verteilt scherzend Komplimente: „Wissen Sie wem sie ähnlich sind? Dem französischen Schauspieler Henri Vidal. Er wirkte bei uns 1959 in dem Romy-Schneider-Film „Ein Engel auf Erden“ mit. Hoffentlich sind Sie nicht so teuer.“ Im darauffolgenden Interview nimmt der am 1. August 1918 in Lodz geborene Sohn eines Holzgroßhändlers, der durch die Nazis 49 Verwandte verlor und dessen cineastisches Werk später von Edgar Wallace („Der Henker von London“, „Das Phantom von Soho“) über Karl May („Old Shatterhand“, „Der Schut“) und den Monumentalfilm („Die Nibelungen“, „Kampf um Rom“) bis zum Genozid („Mensch und Bestie“„Babij Jar“)einen weiten Bogen spannt, kein Blatt vor dem Mund. Am 9. November kommt „Der letzte Zug“ - sein neuester Film über die Opfer des NS-Terrors –in die Kinos.

Marc Hairapetian: Herr Brauner, 1936 drehten Sie bei einer Reise durch den Nahen Osten mit Freunden zwei Dokumentationen. Am 16. September 1946 gründeten Sie Ihre bis heute aktive Central Cinema Company, kurz CCC-Film, genannt. Woher rührt Ihre Begeisterung für die siebte Kunst?

Artur Brauner. Ich bin schon als sechsjähriges Kind, sieben oder acht Mal in der Woche nach der Schule direkt ins Kino gegangen. Sonntags sah ich mir sogar zwei Vorstellungen an. Fritz Lang hat sich bei mir ganz stark eingeprägt, vor allem. “Metropolis“ und „Dr. Mabuse, der Spieler“. Ich bin aber auch mit weniger wichtigen Filmen, wie den amerikanischen Cowboy-Streifen, aufgewachsen.. Auf dem Pausenhof habe ich dann mit meinen Schulkameraden Szenen nachgestellt. Die guten Cliquen kämpften gegen die bösen Cliquen, zum Glück meist ohne Blut. Kino hat mich von ganz früh an fasziniert, und ich bin dabei geblieben.

Hairapetian: Aber warum sind Sie dann Produzent und nicht Regisseur geworden?

Brauner: Ein Regisseur inszeniert einen Film nach dem Drehbuch, das er bekommt. Er ist nicht ganz frei. Als Produzent kann ich hingegen jeden Film auswählen. Das ist der Unterschied. Ich war mein ganzes Leben unabhängig und habe nur das realisiert, was mir gefällt.

Hairapetian: Was macht einen guten Produzenten aus?

Brauner: Das er länger existiert, als alle anderen. Wir feiern in diesem Jahr den 60. Geburtstag von CCC-Film. Es ist die einzige deutsche Filmproduktionsfirma, die nach dem Krieg überlebt hat. Es sagt sich so leicht „60 Jahre“, doch was das bedeutet und wie viel Gefahren man auch ausgesetzt ist, wenn man solch einer Position ausgesetzt ist, ist bestimmt nicht jedem bewusst. So zum Beispiel durch Filme, die plötzlich nicht mehr den Erfolg beim Publikum haben, durch Verleiher, die pleite gegangen sind, oder durch Außenvertriebe, wie beim„Hitlerjunge Salomon“, die uns das ganze Geld wegnahmen. Wenn du nicht aufpasst, bist du in diesem Geschäft ganz schnell unten. Ich habe Gott sei dank nie die Rechte total verkauft, sondern immer nur Lizenzen vergeben für einen gewissen Zeitraum.

Hairapetian: Nach welchen Kriterien gehen Sie bei der Auswahl von Regisseuren vor?

Brauner: Ich verlasse mich auf meinen eigenen Geschmack und sehe welcher Regisseur für welches Genre am besten geeignet ist. Ein Robert Siodmak hat mit mir neun Filme gemacht, das hat er bei keinem anderen Produzenten geschafft. Mit Paul Martin sind es gar 22 geworden. Es gab aber auch Regisseure, mit denen wir nur einen Film drehten.

Hairapetian: Können Sie auch Namen nennen?

Brauner. Ja, die Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Jeff Kanew bei „Babij Jar“war schrecklich. Er denkt, er ist klüger, als alle Europäer zusammen, aber tatsächlich kann er gar nichts. Er ist nur ein professioneller, einfacher Handwerker.

Hairapetian: Dieser Film über das Massaker der Wehrmacht an ukrainischen Juden in der Nähe von Kiew war Ihnen sehr wichtig, und dennoch machten Sie ihn mit einem Regisseur, der bekannt geworden war mit mehr oder weniger geistreichen US-Komödien. Wie kamen Sie auf ihn?

Brauner: Kanew ist mir von Kirk Douglas empfohlen worden, der eine der Hauptrollen in „Babij Jar“ spielen sollte, auf ärztliches Anraten aber absagen musste. Schließlich drehten wir acht Wochen in Weißrussland. Aber als noch ernsthaft über seine Mitwirkung diskutiert wurde, wünschte Douglas Jeff Kanew als Regisseur. Mit ihm und Burt Lancaster als Partner hatte Douglas zuvor die Gaunerkomödie „Archie und Harry“ gemacht. Den Film habe ich mir angeschaut, und der war nicht schlecht. Wer konnte denn ahnen, dass Kanew nur unter bestimmten Bedingungen in Los Angeles fähig war, einen halbwegs interessanten Film zu inszenieren, während er andernorts völlig versagte?

Hairapetian: Warum bringen Sie mit „Der letzte Zug“ einen weiteren Film über Nazi-Opfer ins Kino?

Brauner: Es wird sich herausstellen, ob sich die vier Jahre Arbeit gelohnt haben. Vom menschlich politischen Standpunkt musste der Film jedenfalls gedreht werden.

Hairapetian: Wie meinen Sie das?

Brauner: Ein Film über diese Hölle, die sich ein normales menschliches Gehirn gar nicht vorzustellen vermag, musste nach meiner Überzeugung und aufgrund meines Verantwortungsbewusstseins und meines Gewissens unbedingt produziert werden. Die Berichte, die ich erhalten habe von den wenigen Verbliebenen, die entweder vom Zug springen konnten oder Auschwitz überlebten, waren von einer solchen Unmenschlichkeit und einem so unbeschreiblichen Grauen gezeichnet. Was da in den geschlossenen Viehwaggons geschah, in denen insgesamt Millionen von Menschen transportiert wurden – ohne Wasser und Lebensmittel und ohne die Möglichkeit, ihre Notdurft zu verrichten, Tage um Tage-, dieses Grauen wollte ich auf unvergessliche Weise zeigen. Von unseren 21 Produktionen über den Nazi-Terror ist er vielleicht der stärkste. Die meisten Schauspieler mussten vorderrangig in einem verschlossenen Waggon, der sie ins KZ bringen soll, agieren. Das war eine große physische Belastung, doch keiner wurde schwach. Herausheben möchte ich die inzwischen elfjährige Lena Beyerling und den nach einem Weg zur Flucht suchenden Gedeon Burkhard, der eigentlich alle Preise gewinnen müsste. Ausgezeichnet ist auch Lale Yavas. Eine sehr kultivierte Person und zudem eine wirklich gute Schauspielerin. „Der letzte Zug“ sollte ursprünglich von Rolf Schübel inszeniert werden, der mit Lale den Zweiteiler „Zeit der Wünsche“ realisierte. Doch er hatte keine Zeit, so dass wir mit Joseph Vilsmaier einig wurden.

Hairapetian: Der Start des Films, der schon bei der diesjährigen Berlinale laufen sollte, verzögerte sich erheblich. Auch gab es juristische Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und Vilsmaier. Warum

Brauner: Wir hatten Probleme mit dem Prager Studio Barrandov und dann auch mit unserem Partner in Tschechien. Und in diesem Zusammenhang hat uns Vilsmaier obendrein noch zu erpressen versucht.

Hairapetian: Wie das?

Brauner: Er hat das Negativmaterial zusammen mit einem Bekannten vom Barrandov-Studio zurückgehalten und wollte es uns für die Fertigstellung des Films erst aushändigen, wenn wir seinen Forderungen nachkommen würden. Er verlangte Nachzahlungen für angebliche Mehrkosten der Partner, oder besser gesagt: eines Mini-Produzenten in Tschechien, mit dem er gekungelt hatte. Wir mussten Anwälte einschalten und haben uns zehn Monate rumgeplagt mit ihm. Es gibt Partner, die anständig, fair und ehrlich sind und nichts anderes wollen, als einen guten Film fertig zu stellen. Mit ihm hingegen werde ich nie wieder einen Film machen. Wir haben dennoch alles dafür getan, dass die Premiere stattfinden kann, die Auslandsverkäufe sind ebenfalls gesichert.

Hairapetian: Haben Sie sich inzwischen mit Vilsmaier ausgesöhnt?

Brauner: Mit Vilsmaier rede ich nicht, und die alleinige Schuld daran hat seine Frau Dana.. Sie ist eine Frau, die dominant ist. Sie kann es und darf es bei ihrem Mann, doch bei anderen, sollte sie aufpassen. Ich habe ihnen alles geliefert. Sie haben die gesamte Hauptbesetzung von mir bekommen, das komplette Drehbuch, nichts ist geändert worden.

Hairapetian: Lassen Sie dem Regisseur freie Hand, oder nehmen Sie großen Einfluss auf das Endprodukt?

Brauner: Während des Drehs gebe ich dem Regisseur vollkommene Freiheit. Beim Drehbuch und dem finalen Schnitt habe ich allerdings großen Einfluss. „Der letzte Zug“ war mir acht Minuten zu lang, doch um jeden weiteren Konflikt zu vermeiden, habe ich sie schließlich drin gelassen.

Hairapetian: Ähnlich wie Stanley Kramer, der später auch als Regisseur mit „Urteil von Nürnberg“ und „Das Narrenschiff“ großen Erfolg hatte, haben sie häufig Produzent häufig sogenannte „heiße Eisen“ angefasst.

Brauner Er hatte eine besondere Begabung. Wie viel Stanley Kramers gab es? Vielleicht noch Stanley Kubrick oder Roman Polanski. Ich habe heute geträumt, dass Polanski in meiner nächsten Komödie spielt und sie auch inszeniert. Doch das würde viel zu teuer.

Hairapetian: Sehen Sie sich mehr als Geschäftsmann oder mehr als Künstler?

Brauner: Wenn ich Geschäftsmann wäre, würde ich nicht 21 Filme über die Opfer des Nationalsozialismus gedreht und bisher dabei15, 7 Millionen Euro verloren haben. Bei „Der letzte Zug“ bin ich nur Produzent, das hat mit Business überhaupt nichts zu tun, weil ich von vorne herein weiß, dass ich siebenstellige Zahlen verlieren werde.

Hairapetian: Ihr erster, 1948 entstandener Spielfilm „Morituri“ beschäftigte sich bereits mit dem Dritten Reich. Bis zum im Wortsinn „letzten Zug“ haben sie sich immer wieder mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Sehen Sie sich als Mahner

Brauner Vom ersten Zug „Morituri“ bis zum „letzten Zug“ sehe ich mich absolut als Mahner. Und ich glaube, ich schaffe noch einen Film über diese Thematik. Wir bereiten ihn bereits vor. Er trägt den Titel „Wenn Steine weinen könnten“ und spielt im ukrainischen Poltawa in der Zeit von März 1941 bis November 1941, also drei Monate vor dem Barbarossa Krieg, dem Russland-Feldzug und fünf Monate danach. Die authentische Geschichte soll aus der Sicht von drei miteinander befreundeten, acht bis zehnjährigen Kindern, wovon eines deutsch und zwei jüdisch sind, geschildert werden. Himmler, und das ist verbürgt, kam damals persönlich nach Poltawa und ordnete gegenüber der SS an, als er die Schule gesehen hatte. „Wenn ich mir überlege, dass meine Kinder mit diesem Pack zusammen gehen sollten... Der Gedanke ist unerträglich. Erschießen!“

Hairapetian: Sie haben 49 Verwandte durch die Nazis verloren. Wie geht man mit solch einem Schmerz um?

Brauner: Entweder machen Sie aus Depression Selbstmord, oder Sie müssen weiterleben. Es gibt kein Zwischending.

Hairapetian: Glauben Sie das Deutschland aus den Ereignissen von 1933 bis 1945 gelernt hat?

Brauner: Nach dem Krieg habe ich gehofft, das eine neue Generation heranwachsen würde. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Es ist bei einer gewissen Klientel alles geblieben, wie es war. Zwar nur im kleineren Ausmaß, doch viel gelernt hat die junge Generation nicht.15 bis 20 Prozent bleiben bei ihren antitoleranten Gefühlen. Da hilft vielleicht nur ein gewaltiger Schock bei der ganzen Nation. Doch woher soll der kommen? Und warum soll der unbedingt positiv ausfallen?

Hairapetian: Sind sie religiös?

Brauner: Ich bin traditionell religiös. Die Bibel ist ein Wegweiser für mich. Da sind Gebote, die man unbedingt respektieren soll. „Du sollst Vater und Mutter ehren“, ist am wichtigsten, denn wer die Eltern nicht ehrt, kann auch die anderen nicht ehren. Man muss eine gewisse Tradition wahren, um Kinder und Enkelkinder, zu anständige Menschen erziehen zu können.

Hairapetian: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Brauner: Ich wurde einmal vor langer Zeit gefragt, ob ich einen besonderen Wunsch hätte. Meine Antwort war: „Ja, zwei. Der Erste: Hitler umbringen. Der Zweite: Ich möchte nach meinem Ableben zurückkommen, um festzustellen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Es ist allerdings noch niemand zurückgekommen. Es gibt keine Anzeichen dafür im Laufe von Millionen von Jahren, dass es eine andere Welt oder Reinkarnation gibt

Hairapetian: Sie leben in Deutschland. Wie wichtig ist Ihnen Israel?

Brauner: Israel ist das Land der Träume und das Land der bitteren Erkenntnisse, dass es einen Kampf um Leben und Tod der Existenz gibt. Ich stehe 100%ig zu Israel, weil es gar keine Alternative dazu gibt.

Hairapetian: Als was sehen Sie sich? Als polnischen Juden, als Deutscher oder als Weltbürger?

Brauner. Ich bin Kosmopolit. Da, wo es Anstand gibt, wo die Politik mit Toleranz und Menschlichkeit geführt wird, bin ich zu Hause - und dieses Land muss man suchen.

Hairapetian: Wie gehen sie mit Anfeindungen von ewig Gestrigen um?

Brauner: Ich erlebe keine Anfeindungen. Ich habe seit vielen Jahren noch nicht mal einen Beschwerdebrief erhalten. Die einzigen zwei waren von meinen Angestellten, die entlassen wurden. Dafür bekomme ich immer noch viele Autogrammwünsche mit sehr warmen, herzlichen Briefen. Das ist für mich ein Ansporn, weiterzumachen. Alte und neue Nazis scheinen mich irgendwo zu respektieren. Sie suchen wohl keine Konfrontation, weil ich in diesem Alter noch arbeite, anstatt mit meinem Hintern in Gran Canaria zu sitzen. Dabei hätte ich schon vor 25 Jahren in Rente gehen können.

Hairapetian: Sie wollten auch einen großen Film über den Völkermord an den Armeniern machen. Handelt es sich dabei um Franz Werfels „Die 40 Tage des Musa Dagh“, und woran scheiterte die Produktion?

Brauner: Ich habe schon vor 40 Jahren mit MGM über die Rechte von „Musa Dagh“ verhandelt. Sie wollten zwar den Weltvertrieb übernehmen, aber sich nicht finanziell an der Produktion beteiligen Ich habe eine rund 30seitige Geschichte mit dem Titel „Ohne Heimat“ über eine armenische Lehrerin mit ihrem Kind selbst erfunden, bin aber nicht weitergekommen, weil sich hier weder das Fernsehen noch irgendein Verleih dafür interessierten. Doch für mich ist dieser Film über den Völkermord an den christlichen Armeniern nicht vergessen. Die Armenier sind für mich auch ein Opfervolk.. Im ersten Weltkrieg ist fast eine ganze Nation systematisch ausgerottet worden, im zweiten Weltkrieg eine andere. Da sehe ich natürlich Analogien Ich bin vom Produzenten und Regisseur Ottokar Runze, der die Rechte an „Musa Dagh“ hat, angesprochen worden, doch er schwebt in einer Region von 30 Millionen Dollar, das kann man nicht aufbringen, weil der Film leider nicht das Interesse der breiten Masse erreichen wird.

Hairapetian: Karl May war ja auch sehr juden- und armenierfeindlich. So schreibt er in seinem Reiseband „Auf fremden Pfaden“ in der Geschichte „Der Händler von Serdescht“: „Wenn du zehn Schurken in einem Raum, hast, kannst du sicher sein, das sechs bis sieben davon Armenier sind. Das Schlimmste an ihnen ist, dass sie Christen sind“.

Brauner: Das habe ich nicht gewusst. Ich wusste nur, dass er ein glühender Nationalist war, der als er seine „autobiografischen“ Geschichten schrieb, den Orient und Wilden Western noch gar nicht besucht hatte. Was ich gedreht habe, habe ich aber gelesen. Ich habe versucht, in meinem Film, alles was in der Nähe zu den Nazis oder extremen Nationalismus stand, zu vermeiden. Es gelang vielleicht zu 95 %, aber manchmal bin ich versehentlich doch hineingeschlittert.

Hairapetian: Können Sie das bitte etwas näher erklären?

Brauner: Indem ich sowohl in den Filmen „Schatz der Azteken“/“Die Pyramide des Sonnengottes“, als auch „Durchs wilde Kurdistan“ oder dem sehr erfolgreichen Orient-Film „Der Schut“ und natürlich in den Filmen „Old Shatterhand“ und „Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten“ – in allen drei Variationen – Lex Barker als „deutschen Helden“ glorifiziert habe, ohne auch nur eine winzige Kritik an ihm zu üben. So ging er in die Geschichte von Karl May als Volksheld ohne jeglichen menschlichen Fehler ein.

Hairapetian: „Old Shatterhand“ war seinerzeit der teuerste deutsche Western. Wollten Sie Monumentalität ihrem einstigen Arbeitnehmer und späteren Konkurrenten Horst Wendlandt entgegensetzen?

Brauner: Vielleicht sollte ich jetzt mit Ihrer Frage, die allgemein gültige Lüge eliminieren. Wendlandt war sechs oder sieben Jahre bei mir angestellt. Damals haben wir über 100 Abenteuer-Schriftsteller eruiert, natürlich auch Karl May. Als Wendlandt Ende der 1950er und Anfang 1960er bei mir arbeitete, war die Zeit noch nicht reif für Serienproduktionen, sondern wir machten lieber abgeschlossene Geschichten wie „Mädchen in Uniform“, „Der brave Soldat Schwejk“ oder „Das Riesenrad“. Als Wendlandt von mir wegging, sagte er, sein Sohn hätte ihn auf Karl May gebracht. So ein Blödsinn! Ich wollte ihn zu Lebzeiten nicht desavouieren, aber jetzt wo er tot ist, sollte man diese Fabel nicht weiter propagieren. Ich hätte gleich protestieren sollen, aber damals war er als Kunde mit den Edgar-Wallace-Filmen bei mir im Atelier. Ich dachte mir, wegen so einer Kleinigkeit kann ich ihn doch nicht verlieren.

Hairapetian: „Winnetou“-Darsteller Pierre Brice hasst „Der Schuh des Manitou“. Mögen Sie die May-Persiflage von Bully und Co?

Brauner: Ich kann mir vorstellen, dass er „Der Schuh des Manitou“, wo ich bei manchen Szenen lachen kann, hasst, weil dadurch seine königliche Haltung bloßgestellt wird.. Er hat aber auch einen Fehler gemacht. Er hätte nicht den alten Winnetou spielen sollen, dann hätte er einen Nimbus beibehalten wie Greta Garbo.

Hairapetian: Sie wurden 1962 heftig kritisiert für Ihre Unterhaltungsfilme. Eine Reihe von Jung-Regisseuren warf Ihnen seinerzeit in ihrem Oberhausener Manifest vor, an „Opas Kino“ festzuhalten und damit zur Geschichtsverdrängung im Wirtschaftswunder-Deutschland beizutragen. Hat Sie, der Sie sich als Mahner verstehen, dieser Vorwurf besonders schwer getroffen?

Brauner: Ich habe mir immer gesagt: Hoffentlich erlebe ich noch, dass ich denen das Gegenteil beweisen kann. Und das ist ja geschehen. Wo sind die Unterzeichner des Oberhausener Manifestes heute? Wir produzieren weiter auf dem Weltmarkt. Von denen ist kein einziger da, von dem man sagen kann, er hätte es geschafft. Außerdem waren die Vorwürfe lächerlich, sachlich unfundiert, und nachweisbar war ich sowohl im künstlerischen, als auch kommerziellen Bereich erfolgreich. Um diese Zeit haben wir zum Beispiel nachstehende Filme produziert: „Die letzten werden die ersten sein“, nach dem berühmten englischen Schriftsteller John Galsworthy, mit Maximilian Schell, Ulla Jacobsohn und O. E. Hasse. „Mädchen in Uniform“ mit Lilly Palmer, Romy Schneider und Therese Giese, „Das Riesenrad“ mit Maria Schell und O. W. Fischer, „Es geschah am helllichten Tag“ mit Heinz Rühmann, Gert Fröbe, und Michele Mercier, „Der achte Wochentag“ mit Sonja Ziemann, der ein enormer Erfolg bei den Filmfestspielen in Venedig war, und natürlich den Golden-Globe-Gewinner„Der brave Soldat Schwejk“, wieder mit Heinz Rühmann. Weitere 20 Filme könnte ich aufzählen, die zwischen 1957 und 1963 entstanden, und große Erfolge erzielten.

Hairapetian: Was halten Sie für Ihre beste und was für Ihre schlechteste Produktion?

Brauner: Die Schlechteste habe ich längst vergessen. Die Beste? Es gibt einige. Es ist wie bei Kindern. Man kann nicht sagen, welches besser und welches weniger gelungen ist. Wenn ich so nachdenke, ist mir vom künstlerischen und geschäftlichen Aspekt heraus betrachtet „Der brave Soldat Schwejk“ mit Heinz Rühmann vielleicht der liebste Film. Er hat immerhin den Golden Globe gewonnen. Ein rein kommerzieller Triumph war „Old Shatterhand“. Es gibt auch Filme, die man liebt, die aber beim Publikum weniger gut ankamen, wie „Hitlerjunge Salomon“. Im Ausland avancierte er zum Kultfilm, gewann ebenfalls den Golden Globe, war aber hier nur ein relativer Erfolg, - und das tut mir natürlich weh.

Hairapetian: Sie haben mit vielen internationalen Stars zusammengearbeitet. An wen erinnern Sie sich besonders gerne?

Brauner: “Kampf um Rom“ war hochkarätig mit Orson Welles und dem viel zu früh verstorbenen Laurence Harvey besetzt.. Der in Litauen geborene spätere Wahlbrite Harvey, ist der einzige Schauspieler in meiner Karriere, der mir eine goldene Cartier-Uhr geschenkt hat. Ich habe sie kürzlich meinem Sohn geschenkt. Harvey ist ein großartiger Mann gewesen, und ich habe mit ihm noch vieles vorgehabt. Er sollte in einer Geschichte von Aldous Huxley spielen, außerdem in noch drei weiteren Projekten, doch der Krebs raffte ihn mit 45 Jahren hinweg.

Hairapetian: Gab es noch Schauspieler, die Sie unbedingt gewinnen wollten und wo es nicht zustande kam?

Brauner: Ich verhandelte mit Oskar Werner in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre über „Peer Gynt“. Auch dieses Projekt ist noch nicht aufgegeben, gegenwärtig wird das Drehbuch in Amerika geschrieben, für die Regie hat István Szabó zugzugesagt. Der Film mit der Musik von Grieg basiert auf Ibsen, spielt aber heute. Für „Peer Gynt“ wäre Oskar Werner richtig gewesen. Es gab zwei Drehbuchfassungen, doch letztlich waren sie nicht so reizvoll, um viel Geld auszugeben. Und Oskar Werner hatte auch seinen Preis. Wir trafen uns in einem Wiener Hotel. Für mich hatte er die Klasse des US-Schauspielers Montgomery Clift. Als sehr guter Schauspieler muss man etwas bisschen von der normalen Welt entrückt sein. Dazu kommt ein Tick Genialität. Dann wird man Oskar Werner! Für einen Schauspieler dieser Qualität braucht man, wenn man Erfolg haben will, einen besonderen Produzenten, der Zeit hat und von früh bis spät mit ihm zusammen ist. Ein solcher Schauspieler ist wie ein Kind. Auch OW Fischer war in gewisser Hinsicht so, wobei hingegen Curd Jürgens ein ganz normaler Mann war.

Hairapetian: Sie sind jetzt 88 Jahre alt, stecken aber noch immer voll Tatendrang.

Brauner: Sind Sie zufrieden mit mir? Werden Sie mich weiter empfehlen?

Hairapetian: Ja, sehr!

Brauner: Vielen Dank! (lacht) Ganz zurückziehen will ich mich nicht, doch meine Tochter Alice ist jetzt hauptsächlich mit der Leitung von CCC-Film involviert. Wir haben noch einiges vor: 31 Drehbücher stehen noch zur Auswahl. Dazu kommt der Verkauf von Lizenzen ans Fernsehen. Ich werde Alice unterstützen, soweit sie meine Hilfe benötigt. Jetzt ist wichtig wie „Der letzte Zug“ ankommt. Hier habe ich viel Herzensblut investiert. Ein Kollege fragte mich, wie ich auf die Idee kam, solch einen Film zu machen. Ich antwortete ihm: „Ich musste ihm machen, nachdem ich selbst solch einem Zug entwichen bin.“

Das Interview führte Marc Hairapetian am 6. Oktober 2006 in der Villa Brauner (Berlin- Grunewald).. Weitere Informationen über Artur Brauner im Film-, Theater-, Musik-, Literatur- und Hörspielmagazin SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM, das Marc Hairapetian herausgibt.

 

Foto: Georg Meierotto