„Nur die Straße ohne Schiedsrichter entscheidet, wer der bessere ist.“
Kind, der Straße, Kind des Universums: Interview
mit Schlager-Held Christian Anders
Von Marc Hairapetian
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„Nur die Straße ohne Schiedsrichter entscheidet, wer der bessere ist.“
Kind, der Straße, Kind des Universums: Interview
mit Schlager-Held Christian Anders
Von Marc Hairapetian
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07. Februar 2004: Musikalisches Blind Date mit dem Drehbuchautoren und Family-Five-Gitarristen Xao Seffcheque in Ntscho-tschi El-Khansas Küche. Ein lässiges Gitarrenintro ertönt, Schlagzeug und Bass grooven, das Orchester schwillt an und ein Frauenchor singt hymnenhaft-lasziv „Come on Babe“. Es könnte wahrlich der Soundtrack zu einer nie gedrehten „Kommissar“-Folge sein, der „Love, Peace und Happiness“ im Schwabinger Nachtleben anno 1970 untermalt. Während Seffcheque begeistert lauscht („Geiles Riff!“) und sich den Kopf zerbricht, welche britische Rockband dieses „mitreißende“ Stück eingespielt hat, tanzt meine viereinhalbjährige Tochter Ribana-Siranoush ausgelassen dazu. Schließlich gibt Pop- und Punk-Kenner Seffcheque auf. Des Rätsels Lösung verblüfft ihn vollends. Nein, das diese Nummer einer Christian-Anders-LP entstammen würde, hätte er niemals für möglich gehalten...
Er ist Schlager-Star, Karatekämpfer, Buchautor, Aktionskünstler,
Kolumnist und Esoterik-Lehrer in Personalunion. In den 1970er und 1980er Jahren
versuchte er sich sogar als Regisseur und Hauptdarsteller: Christian Anders
war und ist anders als die anderen Sangeskollegen der sogenannten „leichten
Muse“. Seine erste psychedelisch angehauchte LP bestand aus einem einzigen
Arrangement, bei dem jedes einzelne Stück in das jeweilig nächste
mündete. Nach Millionenhits wie „Geh nicht vorbei“ und „Es
fährt ein Zug nach nirgendwo“ schrieb der am 15. Januar 1945 geborene
Blondschopf „Sieben Songs und eine Sinfonie“ sowie Stücke
über Rassen- und Religionskonflikte. Mit sanfter Stimme und Orchestermelodien
im Rücken kämpfte er heroisch gegen eine stumpfsinnige, verachtungswürdige
Welt des Heavy-Metal-Lärms an. Heute sagt er im Interview: „Nichts
ist verachtungswürdig.“
Christian Anders änderte Mitte der 1980er Jahre nach dem Selbstmord einer Freundin sein Leben – und blieb sich dennoch selbst treu. Neben seinen Gesangesdarbietungen tritt er seitdem auch als Esoterik-Guru Lanoo Radej, was soviel wie „Schüler der Wahrheit“ bedeutet, in Erscheinung. Von den einen belächelt, von den anderen verehrt, spricht der junggebliebene Querdenker im Interview mit dem ruhelosen SPIRIT unter anderem über Karriere und Karma, Pathos und Peinlichkeit, die Freundschaft mit Sean Connery und seine Aussage im Mordfall O. J. Simpson.
Marc Hairapetian: Oskar Werner hat einmal gesagt:
"Zwei Luxusartikel habe ich mir immer geleistet: Zeit und Charakter".
Welche Luxusartikel leiste(te)n Sie sich heute/gestern?
Christian Anders: Den Luxus einer freien Meinung,
und den Luxus unbequem zu sein.
Marc Hairapetian: Ihr Geburtsname ist Antonio
Schinzel. Warum wählten Sie den Künstlernamen Christian Anders?
Wurden Ihnen das von der Plattenfirma oder Produzenten ans Herz gelegt? Oder
wollten Sie "anders als die anderen" sein?
Christian Anders: Mein Geburtsname ist in Wirklichkeit
Antonio Tenicolo. Mein Vater war Italiener und meine Mutter Deutsche. Meine
Verlegerin wählte für mich den Namen Christian Anders, weil sie
sagte, dass ich anders bin als die anderen. Das wollte ich nie, das war immer
so.
Marc Hairapetian: Sie sind in Bruck an der Mur
geboren. Fühlen Sie sich als Österreicher? Immerhin ist es das Land,
das viele einzigartige Künstler hervorgebracht hat.
Christian Anders: Zu meiner größten
Zeit hat man mich „Nutten-Mozart“ genannt, und zwar nicht nur
wegen der "Malibu Sinfonie" die ich komponiert habe. Ich wurde zwar
in Österreich geboren, wuchs in Italien auf, bin aber ansonsten ein Kind
des Universums.
Marc Hairapetian: Österreicher und Wahrheitssuchender
war auch Oskar Werner, der über 300 Rollenangebote aus "Verrat am
künstlerischen Geschmack" ablehnte und stets kompromisslos für
die Qualität des Gefühls und den Adel des Geistes eintrat. Sind
Sie ihm einmal persönlich begegnet? Welche Bedeutung hat er für
Sie?
Christian Anders: Nein. Aber er war ein genialer
Schauspieler, eine höchst sensible und verwundbare Seele. Das kann man
gleich sehen.
Marc Hairapetian: Die Überschrift eines
frühen Zeitungsartikels über Sie lautete: "Der Rebell mit der
sanften Stimme". Schmeichelte Ihnen das? (Immerhin kämpften Sie
jahrzehntelang gegen eine stumpfsinnige, verachtungswürdige Welt des
Heavy-Metal-Lärms an.) Wenn ja, sehen Sie sich heute auch noch so?
Christian Anders: Nichts ist verachtungswürdig.
Alles hat seinen Sinn und sein Ergebnis. Es ist alles Karma. Alles ist in
Ordnung. Wer mein Buch „Der Sinn des Lebens, Nirvana“ liest, wird
mich verstehen.
Marc Hairapetian: Ihre erste LP wurde 1970 von
der Fernsehzeitschrift herausgebracht. Wie kamen Sie oder Ihre Produzenten
auf die Idee, die Stücke ineinander übergehen zu lassen?
Christian Anders: Das war die Idee von Joachim
Heider, dem Komponisten meines ersten großen Hits „Geh nicht vorbei“.
Er war damit seiner Zeit um Jahrzehnte voraus.
Marc Hairapetian: Wer zeichnete für den
zwischen Pathos, Pop und Psychedelic lavierenden Sound verantwortlich?
Christian Anders: Das war auch Joachim Heider.
Ich habe nur die Stimme dazu geliefert.
Marc Hairapetian: Erinnern Sie sich an die Atmosphäre
während der Aufnahme im Studio?
Christian Anders: Bei den Aufnahmen war ich nicht
dabei, stand für die Vocals allein im Studio. Damals sang ja der Sänger
noch selbst, wie sie vielleicht wissen...
Marc Hairapetian: Viele Stücke haben einen
hymnenhaften Charakter wie das wunderbare "Du (bist mein Leben").
Man könnte den Text nicht nur als Liebeserklärung an eine menschliche
Person, sondern auch als ein Bekenntnis zu Gott verstehen. Textzeile: "Du
kannst alles vergeben". Waren Sie damals schon religiös und/oder
beschäftigten sich mit Esoterik?
Christian Anders: Ja, ich beschäftige mich
seit meinem 16. Lebensjahr mit Esoterik. Habe damals schon Spalding und Blavatskys
„Geheimlehre“ gelesen, aber nicht viel verstanden.
Marc Hairapetian: Bei dieser ersten LP zeichneten
Sie noch nicht als Texter und Arrangeur verantwortlich, sondern neben Heider/Relin
auch Fred Jay. Waren Sie trotzdem mit dem Endresultat zufrieden? Wie sehen
Sie die Platte heute?
Christian Anders: Es war das genialste, was ich
je getan habe.
Marc Hairapetian: Ihre Tonträger waren häufig
opulent produziert und auch inhaltlich ambitioniert. Fühlten Sie sich
damals als eine Art Außenseiter im deutschen Schlagergeschäft?
Christian Anders: Man scheute damals keine Kosten;
um meine Stimme mit der entsprechenden Musik zu bekleiden. 14 Nummer eins
Hits und sechs unter den ersten zehn waren das Resultat. Insgesamt über
20 Millionen verkaufter Platten.
Marc Hairapetian: "Der Untergang von Taro
Torsay" ist ein Hörspiel mit Songs. Wie kamen Sie auf diese ungewöhnliche
Idee?
Christian Anders: Das habe ich alles selbst geschrieben;
arrangiert und produziert. In dem Musical sah ich bereits meinen eigenen Untergang
bereits vor. Mein Tontechniker war Peter Wagner, der spätere Produzent
von Udo Jürgens, Roland Kaiser und Peter Maffay.
Marc Hairapetian: Wie gefiel Ihnen die spätere
Musical-Umsetzung von "Taro Torsay"? Haben Sie damit Probleme, dass
es als Trash-Parodie inszeniert wurde?
Christian Anders: Die Inszenierung von Thomas
Herrmann war großartig und überall ausverkauft. Ich musste sie
allerdings aus verlagstechnischen Gründen stoppen.
Marc Hairapetian: Welchen Ihrer Songs halten
Sie für am gelungensten?
Christian Anders: „Maria Lorena“.
Die Musik ist von Joachim Heider und der Text von Joachim Relin.
Marc Hairapetian: Wer ist für Sie der beste
deutsche Schlagersänger? Wer ist/war Ihr liebster Sangeskollege?
Christian Anders: Zur ersten Frage: Das bin natürlich
ich. Ibo habe ich ganz gut gekannt, bis kurz vor seinem Tod. Er hat „Der
Sinn des Lebens“ gelesen und sagte mir wenige Tage vor seinem Tod "Ich
spüre, wie mein Licht erlischt".
Marc Hairapetian: Ihr letztes Album "Tief
in Dir" erschien im letzten Jahr. Die Produktion ist zeitgemäß,
aber weniger opulent als früher. Lag das am Budget?
Christian Anders: Nein, ich wollte mal ein etwas
schlankeres Arrangement versuchen, fast so wie "unplugged".
Marc Hairapetian: Zwei Titel ragen heraus: "Wahre
Liebe (kennt keine Grenzen") und "Dies Irae (Der Tag des Zorns)".
Letztgenanntes Stück geht musikalisch wieder in Richtung der ersten LP.
Wollen Sie Ihre Schlager liebenden (deutschen) Hörer mit einigen ausgewählten
Titeln für leider noch immer aktuelle Themen wie Rassismus oder Religionskonflikte
sensibilisieren?
Christian Anders: Ja.
Marc Hairapetian: Hat der anspruchsvolle Schlager
hierzulande noch eine Chance? Oder ist das Schlager-Revival nur ein feucht-fröhliches
Retro-Abgefeiere?
Christian Anders: „Der Tag, an dem die
Erde stillstand“ war das Beste was ich je in meinem ganzen Leben geschrieben
habe. Es war wie Perlen vor die Säue geworfen.
Marc Hairapetian: Die Neue Deutsche Welle machte
Anfang der 1980er Jahre dem traditionellen Schlager den Garaus. Was bleibt
von ihm?
Christian Anders: Noch in tausend Jahren wird
man "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" kennen.
Marc Hairapetian: Haben Sie einmal die 1985 beim
Bremer Weser-Label erschienene Suurbiers-Mini-LP "Kein Mann für
eine Nacht" mit der Christian-Anders-Hommage "Teenage Rebell"
gehört?
Christian Anders: Nein. Würde ich gern
mal hören.
Marc Hairapetian: Sie drehten die Karate-Filme
"Die Todesgöttin des Liebescamps" und "Brut des Bösen".
Wie finden Sie die Bruce-Lee- und Jacki-Chan-Filme? Wie Tarantinos „Kill
Bill Vol. 1 & Vol. 2“ Welches sind die Unterschiede?
Christian Anders: Nur die Straße ohne Schiedsrichter
entscheidet, wer der Bessere ist. Alles andere (Käfigkämpfe ausgeschlossen)
ist Wunschdenken.
Marc Hairapetian: Warum wurden Sie in der „Brut
des Bösen“ von Manfred Seipold synchronisiert?
Anders: Weiß ich nicht.
Marc Hairapetian: Bruce Lees Kampfsportphilosophie
war keine zu haben. Was ist Ihre - und was fasziniert sie so am Kampfsport?
Christian Anders: Wie ich jemanden schnell umhauen
kann - wenn nötig.
Marc Hairapetian: Hätten Sie gerne noch
mehr Filme gedreht?
Christian Anders: Dann hätte ich es getan.
Jetzt interessiert mich hauptsächlich mein Hollywood play „Der
Mann, der Aids erschuf“. Werde es bald spielen (Bitte auf meine Website
www.christiananders.com gehen) .
Marc Hairapetian: Kompliment für Ihren amüsant-engagierten
Auftritt in "Zimmer frei". Trotz aller "Störaktionen"
seitens der Moderatoren und des Publikums blieben Sie bei allem Sinn für
Humor immer Ihren Anliegen treu. Sind Sie ein "Überzeugungstäter"?
Christian Anders: Ja. Bei mir weiß man
nie, was im nächsten Augenblick geschieht.
Marc Hairapetian: Bereuen Sie hingegen andere
Medienauftritte wie das nackte Anketten an der Gefängnismauer, die selbstangekündigte
(und zum Glück nicht vollbrachte)Selbstmordaktion, um gegen das Schächten
von Tieren zu demonstrieren oder den Verkauf Ihrer Freundin? Für diese
"Aktionen" ernteten Sie ja viel Spott. Verletzt Sie dies? Fühlen
Sie sich missverstanden? Zählt der Prophet im fremden Land genauso wenig
wie der im eigenen Land?
Christian Anders: Der Verkauf der Freundin war
ein Pressegag. Mehr nicht. Mich beeindruckt weder Lob noch Tadel. Ich bin
Buddhist. Alles was ich mache hat einen sinn.
Marc Hairapetian: Hatten Sie Angst, als Sie im
Mordprozess O. J. Simpson aussagen mussten?
Christian Anders: Nein. Ich war dies seiner Frau
Nicole, die in Los Angeles Brentwood fünf Meter neben mir wohnte, schuldig.
O. J. hat sie ermordet und ihre Genitalien rausgeschnitten. KARMA wird sich
um ihn kümmern.
Marc Hairapetian: "Einsamkeit hat viele
Namen" - auch für Sie? Sind Sie glücklich mit Ihrem Leben?
Christian Anders: Ja, bin ich, denn wahres Glück
ist unabhängig von Personen und Dingen.
Marc Hairapetian: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Ist Ihre Lebererkrankung überwunden?
Christian Anders: Wieder alles klar.
Marc Hairapetian: Die Endsechziger/Anfang siebziger
Jahre standen hierzulande für politische Liberalität und sexuelle
Freizügigkeit. Würden Sie gerne mit einer Zeitmaschine wieder darin
zurückreisen? Was hat sich seitdem für sie verbessert/verschlechtert?
Christian Anders: Wie es kommt, ist es gerade
recht.
Marc Hairapetian: Sie waren u.a. mit Heather
Thomas und Dunja Rajter liiert. "Alte Liebe rostet nicht". Haben
Sie zumindest noch Kontakt zu den Damen?
Christian Anders: Nein. Ich weiß nur, dass
Heather jetzt Skip Tottenham, den Anwalt Michel Jacksons, geheiratet hat,
obwohl sie mir damals sagte "Die hässliche Judensau lass` ich nie
an mich ran". Aber 14 Schlafzimmer und 50 Millionen Dollar sind halt
überzeugender.
Marc Hairapetian: Stimmt es, dass Sie in Spanien
eine zeitlang Nachbar von Sean Connery waren und ihm eines Tages Karel Gotts
"Die Biene Maja" vorspielten, worauf dieser begeistert durchs Zimmer
tänzelte?
Christian Anders: Das ist völliger Quatsch.
Ich habe vier Jahre bei Sean Connery und Familie in Marbella Casa Malibu gewohnt.
Er hat viele meiner Plattencover-Fotos geschossen und seine Frau Micheline
hat die Hüllen entworfen. Sean hat auch ein Lied für mich geschrieben.
Titel "When I lose my head in my pillow." Irgendwann war es dann
aus mit unserer Freundschaft. Warum, das fragen Sie ihn lieber selber.
Marc Hairapetian: Vom Psycho-Sex-Western "Gobbo...
und der Teufel singt sein Lied" zum "Mann, der Aids erschuf".
Wie stehen Sie zu Ihren literarischen Anfängen?
Christian Anders: Noch besser war „Blutschrei“.
Marc Hairapetian: Welche neuen publizistischen
Projekte bereiten Sie vor? Welche musikalischen?
Christian Anders: Ich habe drei neue Produzenten:
Ulli Jonas, Peter Power und Frank Lars. Außerdem werde ich DEN STEIN
DES ANSTOSSES präsentieren. Was das ist kann, ich aber jetzt nicht sagen.
Marc Hairapetian: Schlagen zwei Seelen in Ihrer
Brust? Lanoo Radej versus Christian Anders?
Christian Anders: Ich habe auch noch eine dunkle
Seite.
Marc Hairapetian: Bedauern Sie es, dass Sie
keine eigenen Kinder haben? Wenn ja, ist es dafür schon zu spät?
Christian Anders: Nein, vielleicht im nächsten
Leben. Ich bin ja selbst noch ein Kind.
Das Interview mit Christian Anders führte Marc Hairapetian am 18. Juni 2004.