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Good friends forever: THE SPIRIT aka Marc Hairapetian & film director Fatih Akin - Photo by: Heiko Lehmann for SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM

Mehr Regisseur sein!

Interview mit Regisseur Fatih Akin - nicht nur zu "Tschick" (deutscher Kinostart: 15. September 2016)

Von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen Fatih Akin mit seinen jungen Hauptdarstellern Anand Batbilieg (Tschick) und Tristan Göbel (Maik) am (Natur-)Set

 Marc Hairapetian: Roman Polanski drehte einst nach der Gruselkomödie "Tanz der Vampire" das Shakespeare-Drama "Macbeth", vor allem deshalb, weil seine hochschwangere Frau Sharon Tate von der Manson Family ermordet wurde. Bei dir verhält es sich umgekehrt: Nach "The Cut, wo du den Völkermord an den Armeniern thematisiert hast, kommst du nun mit der Adaption des Jugendromans "Tschick",daher. Hast du nach einem so harten Film wie "The Cut" bewusst ein fröhlicheres Genre ausgewählt?

 Fatih Akin: Letztendlich schon. Ich habe nach "The Cut" zuerst geplant, eine weitere sehr düstere Geschichte zu machen. Tatsache ist, dass ich diesen Film mit Diane Krüger erst jetzt, also nach Tschick", drehe. Nach "The Cut" war ich regelrecht arbeitslos, so dass ich mir schon dachte: Was mache ich jetzt? Gehst Du ans Theater? Nein, ich bin kein Theatertyp! Also sollte ich vielleicht besser an die Uni und dort unterrichten, doch dafür bewarb ich mich zu spät... Was also tun? Verflixt, ich kann doch keinen "Tatort" drehen! Dann kam wie aus heiterem Himmel, das Angebot "Tschick" zu drehen. Und das, wo ich den Film eigentlich schon 2012 vor "The Cut" machen wollte!

 Marc Hairapetian: Den Regie-Zuschlag bekam doch aber zuerst David Wnendt?

 Fatih Akin: Richtig, er wurde aber mit "Er ist wieder da" nicht fertig und das war indirekt mein Glück.

 Marc Hairapetian: Bevor man den fertigen Film gesehen hat, haben sich viele aus der Filmbrache gefragt: Fatih Akin und "Tschick" - geht das wirklich zusammen?

 Fatih Akin: Es kann nur einen geben! Wie bei Highlander! (lacht) Ich dachte selbst: Bin ich der Richtige dafür? Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich selbst 14 war. Mir hat damals eine Frau sehr das Herz gebrochen, das hallt bis heute nach. Es war eigentlich so ähnlich wie in dem Roman. Ich habe das darin gelesen und nicht den Osten und das Freiheitsding. Ich habe auch nicht darin gelesen wie der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf schrieb: Alle Menschen sind schlecht, nur ein Prozent ist gut und wir treffen dieses eine Prozent. Mich hat interessiert: Da ist ein Außenseiter, der wird nicht akzeptiert. Er ist unsterblich verliebt in ein Mädchen aus seiner Klasse, sie will nichts von ihm. Er muss deshalb auf diese Reise gehen. Und am Ende will sie etwas von ihm. Da will er aber nichts mehr von ihr. Das Leben weiß es besser und er hat es gelernt.

 Marc Hairapetian: Ärgert dich, dass dir im Vorfeld, einige Leute die Verfilmung von "Tschick" nicht zugetraut haben?

 Fatih Akin: Solange die Leute ins Kino gehen ist mir das egal. Ich lache viel. Ich bin umgeben von Leuten, die gern lachen. Meine Frau ist wirklich lustig. Zur Tragödie gehört auch die Komödie. Das geht schon seit der Antike Hand in Hand miteinander. Ich habe bei "Tschick" gelernt, dass ich auch mehr Regisseur sein muss, nicht nur Filmemacher. Filmemacher sein ist "Gegen die Wand", "The Cut, "Auf der anderen Seite" und auch "Soul Kitchen". Aber Filme wie "Tschick" sollte ich, wenn ich überleben will, viel öfter machen. Man macht eben hier "nur" die Regie. Der Filmemacher schreibt den Mist und produziert den Mist, führt nebenbei Regie und dann geht das alles fließend ineinander über. Hier hatte ich nichts mit der Produktion zu tun.

 Marc Hairapetian: Hast du bewusst mit Co-Drehbuchautor Hark Bohm und seinem Adoptivsohn Uwe Bohm als Filmvater von Tristan Göbel zwei wesentliche Protagonisten von "Nordsee ist Mordsee", einem deiner Lieblingsfilme, mit ins Boot geholt?

 Fatih Akin: Ich habe, als ich den Roman zuerst 2011 las, von Anfang an in "Tschick" auch "Nordsee ist Mordsee" gelesen. Als ich mit "The Cut" beschäftigt war, schlug ich dem Rowohlt Verlag vor: Wie wäre es, wenn meine Firma Bombero International produziert und Hark Bohm dreht das als Regisseur? Das wollten die aber nicht. Umso glücklicher bin ich, dass Hark jetzt doch als Co-Drehbuchautor dabei ist.

 Marc Hairapetian: Bist du eher Tschick oder eher Maik?

 Fatih Akin: Beides. Ich bin aber auch die Mutter so wie in "Johnny Walker, du bist mein bester Freund". Ich versuche nicht der Vater zu sein, obwohl der auch irgendwo in mir schlummert.

 Marc Hairapetian: Wie meinst du das konkret mit dem Marius-Müller-Westernhagen-Zitat?

 Fatih Akin: Ich habe in meinem Leben viel mit Alkoholismus zu tun gehabt und das in "Gegen die Wand" auch thematisiert. In "Tschick" hat Maik eine alkoholkranke Mutter, aber der Roman ist kein Sozialdrama. Er ist nicht so ein Betroffenheits-Bullshit. Er greift das irgendwie amüsant auf und es war reizvoll, das visuell zu übersetzen.

 Marc Hairapetian: Musstest du die beiden jugendliche Hauptdarstellern Tristan Göbel als Maik und Anand Batbileg als Tschick anders führen als erwachsene Schauspieler?

 Fatih Akin: Beide mussten für mich wie Don Quichote und Sancho Pansa sein, aber auch wie Bud Spencer und Terence Hill sein oder wie Eddie Murphy und Nick Nolte. Am Anfang habe ich mir die Kids gegriffen und gesagt: Hört mal zu, Jungs! Ich bin keine Vaterfigur für euch während dieser Dreharbeiten. Ich bin um Gottes willen kein Vorbild. Ich bin kein Mentor und ich will nicht euer guter Freund sein. Ich bin euer Regisseur! ich werde saufen, ich werde rauchen, ich werde fluchen und ich werde mich nicht zusammenreißen, nur weil ihr fucking 14 seid! Und das fanden sie als Ansage voll gut.

 Marc Hairapetian: Fast all deine Filme verbinden das Politische mit dem Persönlichen. Als türkisch stämmiger Deutscher hast Du Dir für "The Cut", Deinem Film über den Völkermord an den Armeniern, sprichwörtlich den Hintern aufgerissen. Findest du, dass die Bundesregierung mit der merkwürdigen Pseudo-Relativierung der Armenien-Resolution bei Erdogan eingeknickt ist?

 Fatih Akin: Das kann ich noch nicht beurteilen. Ich weiß nicht wie komplex das wirklich ist. Es gibt eine Resolution im Bundestag, sie ist aber nicht rechtlich verbindlich. Doch keine der bisherigen Resolutionen ist rechtlich verbindlich. Das muss mir erst mal jemand juristisch erklären. Ich benenne die Dinge von 1915 als Völkermord an den Armeniern". Ich glaube, dass vieles in der Türkei-Darstellung in den Medien auf Twitter-Ebene reduziert und nicht zu Ende gedacht wird. Es findet eine Pauschalisierung statt.

 Marc Hairapetian: Fühlst du dich im Gegensatz zu früher unwohl, wenn du heute in die die Türkei reist?

 Fatih Akin: Ich hatte früher eine gewisse Unschuld, weil ich "The Cut" ja noch nicht gemacht hatte. Es war immer Highlife und Party für mich in der Türkei. Jetzt, nach "The Cut", kann ich mich mit Sicherheit dort auch frei bewegen, doch ich überlege genauer, was ist der beste Weg wohin. Nehme ich ein Taxi, die Bahn oder gehe ich zu Fuss hin, damit ich von gewissen Leuten am wenigsten angelabert werde.

 Marc Hairapetian: Wie würdest du einen AfD-Mitglied die Filmszene schmackhaft machen, in der sich Tschick mit Isolierband einen Hitler-Schnurrbart anklebt?

 Fatih Akin: Ich würde sagen: Guck dir das an! Es ist lustig und hat auch etwas mit dir zu tun.

 Marc Hairapetian: Wenn du von Türken in Deutschland sprichst, benutzt du häufig das Wort "Kanaken". Dürfen diesen häufig abwertend gebrauchten Begriff nur Türken selbst in den Mund nehmen?

 Fatih Akin: Bald darfst du ihn auch benutzen! (lacht) Er kürzt doch vieles ab. "Leute mit Migrationshintergrund": Wie viele Silben hat dagegen dieses Wort...!

Marc Hairapetian führte das Interview mit Fatih Akin am 5. September 2016 im Berliner Hotel de Rome für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com am 4. April 2016

www.tschick-film.de