Röntgenaufnahme eines Leinwandhelden aus Gold

Aus der Unendlichkeit zurückgekehrt: Gespräch mit US-Schauspieler Gary Lockwood („2001 – Odyssey im Weltraum“, They Came to Rob Las Vegas“)

Von Marc Hairapetian

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"I'm an actor. I've done a little bit of everything. An actor is kind of like a cowboy. The show's over on Sunday and then you ride off to the next gig. Basically, that's what show business is all about.”

Gary Lockwood

Ende der 1960er Jahre gehörte er nicht nur zu den bestaussehendsten, sondern auch talentiertesten Heroen des internationalen Films. Er war der Astronaut Frank Poole in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (USA/GB 1965-68), der vom neurotischen Bordcomputer HAL 9000 heimtückisch ermordet in der schier unendlichen Weite des Alls auf Nimmerwiedersehen verschwindet, und glänzte umso lebendiger an der Seite Elke Sommers in Antonio Isasi-Isasmendis rasantem Caper Movie „Radiografica di un colpo d`oro“ („They Came to Rob Las Vegas“/ „An einem Freitag in Las Vegas“/„Las Vegas, 500 Millones“, Spanien/Italien/Frankreich/BRD). Gary Lockwood, geboren als John Gary Yurosek am 21. Februar 1937 im kalifornischen Van Nuys, startete seine Leinwandkarriere als Stuntman und Lichtdouble von Anthony Perkins. Als „quiet actor“ (Lockwood über Lockwood), der ohne viel Worte, dafür mit physisch-psychischer Präsenz zwischen aufreizender Coolness und jungenhafter Sensibilität agierte, arbeitete er bereits früh mit ausgezeichneten Filmemachern wie Elia Kazan („Splendour in the Grass“) und John Cassavetes („My Daddy Can Lick Your Daddy“) zusammen. Zu seiner Vita gehören aber auch zahlreiche Fernsehauftritte in „Star Trek“-Folgen, die Hauptrolle in der TV-Serie „The Lieutenant“ (1963), der Western „Firecreek“ (1968) mit James Stewart und Elvis Presleys Ausflug in ernste Schauspielerfach „Wild in the Country“ (1961), in denen er den besten des ungekrönten King of Rock `n´ Roll mimte.
Nach einer Reihe von Hauptrollen, zu denen auch sein unbeugsamer Studentenanführer in Stanley Kramers Campus-Drama „R. P. M. (Revolutions per Minute)“ (USA 1970) zählt, wurde es Anfang der 1980er Jahre etwas stiller um Lockwood, der von 1966 – 1972 mit der Schauspielkollegin Stefanie Powers verheiratet war. Neben gelegentlichen Kino- und TV-Gastauftritten (so 1983 als Dr. Becker in „Emergency Room“) erschien zur Jahrtausendwende seine Biografie „Odyssey of an Actor“. Außerdem machte er mit einem gelungenen Internetauftritt auf sich aufmerksam: www.gary-lockwood2001.com sei hiermit allen SPIRIT-Lesern herzlich empfohlen!
Durch seinen Webmaster Dennis Gonzales, der selbst ein eingefleischter „2001“-Fan- und Spezialist ist, kam Anfang Mai diesen Jahres der persönliche Kontakt zu Gary Lockwood, der mit seiner zweiten Frau abwechselnd in Kalifornien und Kanada lebt, zustande. Mehrere Telefoninterviews verliefen auf einer sehr herzlichen Ebene, bei denen Lockwood (zu Deutsch: „Sperrholz“), sich alles andere als „sperrig“ gab und seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung fast genauso viele Fragen stellte wie dieser ihm. So kam heraus, dass der Sohn russisch-deutscher Eltern (die Mutter stammt aus Berlin) als Jugendlicher nicht unbedingt den Wunsch einer Hollywood-Karriere in sich hegte: „Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden. Mit Jobs als Stuntman versuchte ich mich über Wasser zu halten. Schließlich fand ich Gefallen an der Schauspielerei.“ Wie war eigentlich das Verhältnis zu dem nur unwesentlich älteren Anthony Perkins, in dessen Schatten Lockwood u.a. als Lichtdouble in einigen Filmen (“Tall Story“) stand? „Weder schlecht, noch gut. Wir hatten gar kein Verhältnis zueinander. Das sollte sich Jahre später ändern, als er meine erste Frau Stefanie Powers, mit der er schon lange platonisch befreundet war, und mich zuhause ein paar Mal besuchte.“
Als besten Regisseur, mit dem er drehte, bezeichnet er ohne „wenn und aber“ Kubrick: „Im Gegensatz zu vielen anderen Regiekollegen machte er am Set nie viele Worte. Er wusste genau, was er wollte und auch, was er nicht wollte. Schon bevor mich Kubrick für `2001´ verpflichtete, war ich ein großer Fan von ihm. Ich habe all seine Filme gesehen und genossen – von `Fear and Desire´ bis `Eyes Wide Shut´. Wir lagen kinematografisch auf einer Linie. Er war ein Visionär, der seine kühnen Ideen auch in einzigartige Bilder umsetzen konnte. Unabhängig von meinem Mitwirken ist für mich `2001 – Odyssey im Weltraum´ der bis heute größte Meilenstein in der Geschichte des Kinos.“ War ihm das beim Drehen in den britischen MGM-Studios in Borehamwood auch schon bewusst? Lockwood: „Ja, ganz ehrlich. Keir Dullea, der den zweiten Astronauten David Bowman spielte, erzählte später immer wieder, er wäre sich am Set nicht der Besonderheit des Films bewusst gewesen. Mir war schon von Anfang an klar, dass wir in ein einzigartiges Projekt involviert waren.“ Bis heute wird er immer wieder über sein Mitwirken in Kubricks Filmessay über Beginn und Begrenztheit unserer Intelligenz, Schöpfung, (Wieder-)Geburt und Tod im All befragt: „Der Film stellt jede Menge Fragen, gibt aber absichtlich keine Antworten. Ich habe ihn jetzt ca. 15 Mal gesehen und entdecke bei jedem Betrachten neues in ihm.“
Auch bei „Radiografica di un colpo d`oro“ (zu deutsch: „Röntgenaufnahme eines Pärchens aus Gold“), einem seiner anderen großen Leinwanderfolge, denkt er rückblickend zuerst an seinen Regisseur: „Antonio Isasi-Isasmendi war ein im positiven Sinne Verrückter“. Fast ohne Kamerafahrten, dafür mittels Schnitt erzeugte der spanische Ausnahmecineast Spannung und Tempo. Der von Gary Lockwood verkörperte Toni (Isasi-Isasmendis Alter Ego; Horst Buchholz trug in der James-Bond-Parodie „Unser Mann in Istanbul“ denselben Vornamen) möchte hier seinen älteren Bruder Gino (Jean Servais) rächen, der bei einem Überfall auf den Geldtransporter von Skorsky (Lee J. Cobb) umkam. Mit Hilfe von Skorskys Sekretärin Anne (Elke Sommer) bereitet er einen spektakulären Coup vor. Es gelingt ihm tatsächlich den bestens gesicherten Panzerwagen, der neben den darin befindlichen Geldkisten noch ein wahrhaft goldenes Geheimnis in sich birgt, mitten in der Wüste von Nevada von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Alles läuft wie geplant – bis sich seine LSD-konsumierenden Komplizen selbstständig machen... In dem auf einem Roman von Andre Lay basierenden mitreißenden Action-Thriller stehen die neuesten Überwachungsgeräte der 1960er Jahre, die einem totale Kontrolle vorgaukeln, im ironischen Gegensatz zu dem unberechenbaren Verhalten der Figuren. Der Mensch als Störfaktor verhindert also das perfekte Verbrechen.
Neben der grandiosen Regieführung und dem glänzend aufgelegten Schauspielerensemble, das vom charmanten Sunnyboy Lockwood angeführt wird, ist George Garvarentzs beschwingter Easy-Listening-Jazzpop ein weiterer Star des Films. Es gibt einen glamourös- majestätischen „Las Vegas“-Main-Title, aber auch ein von einer weiblichen Stimme dahingehauchtes melancholisches „Sommer“-Thema. In der grandiosen Schlusseinstellung werden mittels Splitscreen alle Handlungsstränge und überlebende Protagonisten zusammengeführt. Wenn Tonis durchgeknallter und latent homosexueller ehemaliger Weggefährte Cooper am Ende den Geldtransporter unterhalb des Wüstenbodens aufsprengt, um sich dabei selbst in die Luft zu jagen (!), und all die Geldscheine samt Skorskys geschmuggelter Goldbarren in einer Staubwolke, die an einen Atompilz erinnert, durch die Luft wirbeln, bewahrheitet sich einmal mehr die alte Volksweisheit: Unrecht Gut gedeiht nicht. Eine darstellerische Meisterleistung liefert Lockwood ab, der in ein mehr belustigtes denn irres Gelächter ob der Absurdität der Situation ausbricht. Im Gegensatz zu ihm verharrt sexy Sommer an der Schulter ihres gebrochenen Helden angelehnt wie eine griechische Tragödin.
Obwohl Lockwood von den Medien und zahlreichen Verehrerinnen damals so gesehen wurde, empfand er sich selbst nie als männliches Sexsymbol. Er wollte immer nur seinen Job machen – und dies möglichst gut. Während der heutige Kultfilm bereits bei seiner Erstaufführung in Europa euphorische Kritiken einheimsen konnte, waren die Urteile der Rezensenten jenseits des Atlantiks eher ablehnend: „Das Action-Genre war für sie ein uramerikanisches. Eine verdammt bornierte Haltung. Lediglich zwei Kritiker aus New York wussten die Raffinesse, mit der Isasi-Isasmendi sein Caper-Movie in Szene setzte, zu würdigen.“, erinnert sich Lockwood. So war „They Came to Rob Las Vegas“ in den USA auch kein großer kommerzieller Erfolg beschieden, während in Westeuropa die Kinokassen klingelten. Als eine Art besondere Reminiszenz an den großteils in Las Vegas gedrehtem Film schrieb Lockwood gut dreißig Jahre später zusammen mit einem jungen Journalisten sechs Tage lang an seiner eigenen Biografie in der vergnügungssüchtigen Wüstenstadt: „Leider haben sich trotz mehrfacher Korrektur einige Fehler eingeschlichen“, gibt sich Lockwood selbstkritisch. „Immerhin ist sie sehr amüsant zu lesen.“
Heute hat sich der immer noch jugendlich wirkende Gary Lockwood von der Schauspielerei weitgehend zurückgezogen (sechs Jahre liegt mittlerweile sein Mitwirken als Dieter Dietermann in der Komödie „A Bedfull of Foreigners“ zurück), um sich ganz auf das Verfassen von eigenen Drehbüchern zu konzentrieren. Dafür tritt nun seine 21jährige Tochter aus zweiter Ehe in die Fußstapfen ihres Vaters. „Sie steht bald für ihren ersten Kinofilm vor der Kamera.“, meint er sichtlich stolz. Seine Lieblingsbeschäftigung sei jetzt das Reisen, gesteht er dem ruhelosen SPIRIT. Seine Mutterstadt hat Lockwood allerdings zuletzt vor dem Mauerfall besucht. Doch vielleicht gibt es im nächsten Februar bei der von Frankfurt am Main nach Berlin wandernden Kubrick-Ausstellung für Lockwood ein Wiedersehen, wenn ihn die Leitung des Filmmuseums als Ehrengast einladen sollte. Wäre ein erneutes Zusammentreffen mit HAL 9000, dessen Kern dann dort als begehbarer überdimensionaler Raum bewundert werden kann, und seinem aus der Unendlichkeit wiedergekehrten Opfer Frank Poole nicht spektakulär? Vielleicht siegt diesmal der Mensch über die Maschine. Wir sind gespannt.

Marc Hairapetian