Die Löwin im Winter

 

Erinnerung an Katharine
Hepburn (1907 bis 2003)

 

Von Marc Hairapetian

 

„Schauspielern ist doch die mickrigste aller Begabungen - Shirley Temple konnte es immerhin schon mit vier Jahren.“

„Ich begrüße den Tod. Wenn man tot ist, muß man keine Interviews geben.“
Katharine Hepburn

Mit dem in Frankreich an Originalschauplätzen gedrehten britischen Geschichts- und Ehe(melo)drama „Der Löwe im Winter“ (1968) erreichte Katharine Hepburn 60jährig und jenseits von Hollywood wohl den Höhepunkt ihrer großen, reifen Darstellungskunst. Noch nie zuvor war dem weiblichen Weltstar, der Dekaden zuvor schon das Frauenbild der Traumfabrik auf wohltuend intelligente Weise revolutionierte, eine Rolle so auf den zierlich-zähen Leib geschnitten wie die der Eleonore von Aquitanien. Jene war nicht nur Königin von England und Frankreich, sie war auch die Monarchin der Troubadoure und des ersten, historisch belegten Minnehofes. Von vielen Dichtern besungen und in Romanen verherrlicht, gilt sie als Vorläuferin der modernen emanzipierten Frau, so wie die acht Jahrhunderte später von us-amerikanischen Filmjournalisten zur „besten Schauspielerin aller Zeiten“ gewählte Katharine Hepburn - in Anlehnung an einen ihrer größten Erfolge - „Die Frau, von der man spricht“ ist und bleiben wird.
Anthony Harveys Film „Der Löwe im Winter“, nach dem gleichnamigen Bühnenstück von James Goldman, gewährt nur einen flüchtigen Einblick in Eleonores Leben. Anfang des 12. Jahrhunderts geboren, heiratete sie zunächst Ludwig VII. von Frankreich, den sie auf seinen Kreuzzug begleitete. Als er sich wegen seiner Untreue von ihr scheiden ließ, heiratete sie den ersten Plantagenet, der als Heinrich II. König von England wurde. Nachdem sie im Streit um die Thronfolge einen ihrer Söhne begünstigt hatte, hielt ihr Gatte sie bis zu ihrem Tode fast ständig in Haft. Nach ihrer Befreiung durch ihren Lieblingssohn, Richard Löwenherz, erwies sie sich, wie Chroniken berichten, als eine Fürstin von bedeutendem Format.
Die Handlung des Films konzentriert sich auf eine der seltenen Gelegenheiten, da der alternde Herrscher (Peter O’Toole, der den jungen Heinrich schon mit Bravour in „Becket oder Die Ehre Gottes“ gespielt hatte) seine Gattin vorübergehend aus der Haft entläßt, und die ganze Familie (inklusive der schönen Geliebten!) Weihnachten feiert. Im Verlauf der ausgedehnten Festivität entspinnt sich zwischen dem „Löwen im Winter“ und seiner kratzbürstigen „Löwin“ ein geistiges Duell, dem als Zeuge beizuwohnen ein reines Vergnügen ist. Zwei einander ebenbürtige Intellektuelle, listenreich und verschlagen, die sich gegenseitig schätzen und verstehen und trotzdem bis aufs Messer mit den Waffen ihres scharfen Verstandes bekämpfen. Ein Katz- und Maus-Spiel, das allem Anschein nach mehr um seiner selbst willen, als um des bloßen Sieges wegen veranstaltet wird.
Auf der Bühne hatte die junge Rosemary Harris die Eleonore gegeben und war mit ihrer samptpfötigen Katzenhaftigkeit scheinbar die ideale Besetzung gewesen. Aber wenn man Katarine Hepburn sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass auf der ganzen Globus noch eine andere Akteurin das für diese Rolle erforderliche Maß an Klugheit, Witz, Charme und herber Schönheit mitbringt.
Nun ist die ungekrönte Königin des Kinos tot - sie entschlief friedlich in ihrem Haus in Old Daybrook/Connecticut im gesegneten Alter von 96 Jahren. Das war in ihrer Familie durchaus nicht selbstverständlich, gab es doch eine seltsame Serie von Selbstmorden, was damals, als man noch an die Vererbbarkeit suizidiärer Depression glaubte, zum Stigma wurde. Ihr Großvater, dessen Bruder, zwei Onkel und auch ihr geliebter Bruder Tom, den die 13jährige Katharine erhängt auffand, nahmen sich das Leben. Trotz dieser Schicksalsschläge war die am 12. Mai 1907 in Hartford im Sternkreis Stier geborene Katharine ein fröhliches Kind, das Rückschläge gut wegstecken konnte. Denn so schwach die Hepburn-Männer waren, so stark trumpften ihre Frauen auf: So kämpfte ihre Mutter als Anwältin und Frauenrechtlerin für die Geburtenkontrolle.
Katharine Hepburn war in anderen Disziplinen erfolgreich: In den 20er Jahren trat sie als Golf- und Tennisspielerin sogar gegen Profis an. Wenig später war die Diplompsychologin und -Dolmetscherin für lange Zeit die einzige Akademikerin in der Traumfabrik, die sogar einen Doktortitel trug. Bis heute hält sie mit vier Oscars für die „Beste Hauptdarstellerin“ („Morgenrot des Ruhmes“, 1933; „Rat’ mal, wer zum Essen kommt“, 1967; „Der Löwe im Winter“, 1968; „Am Goldenen See“, 1981) einen einsamen Rekord. Zwölf weitere Nominierungen stehen zu Buche (hier wird sie inzwischen um eine von Meryl Streep übertroffen). Der von ihr kreierte „Hepburn“-Look fand viele Nachahmerinnen: Als eine der ersten Frauen trug sie (Herren-)Hosen, -Jacken und -Hemden sowie flache Wildlederschuhe. Röcke dienten ihr ausschließlich als Berufskleidung. Aus heutiger Sicht umso unverständlicher, dass sie Mitte der 30er Jahre aufgrund ihres dem gängigen weiblichen Rollen-Klischee durchaus nicht entsprechenden burschikosen Typs von Produzenten und Studios als „Kassengift“ eingestuft wurde. Doch die Prophetin im eigenen Land blieb sich treu und wurde mit dieser Haltung kurze Zeit später zum absoluten „Blockbuster-Star“. Ihre Domäne waren die wortwitzig-sozialkritischen, mit versteckten Anzüglichkeiten gespickten „Screwball-Comedies“: Von „Leoparden küsst man nicht“ (1938) über die „Philadelphiastory“ (1939) bis zu „Die Nacht vor der Hochzeit“ (1940).
Der große Spencer Tracy, über den sie 1986 eine wunderbare TV-Dokumentation drehte, wurde nicht nur ihr filmischer Traumpartner. Neun Filme drehten sie gemeinsam, doch zwei Dinge bekam sie nicht von ihm: den Ehering und ein Kind. Der erzgläubige Katholik konnte sich einfach nicht von seiner ersten Gattin scheiden lassen. In ihrer letzten Hollywood-Arbeit und Tracys letztem Film überhaupt, Stanley Kramers Plädoyer für Rassengleichheit und Mischehen „Rat’ mal, wer zum Essen kommt“ (1966/7), hatte sie bei der Schlußrede des unheilbar kranken Partners ehrliche Tränen in den Augen. Eine Woche nach Beendigung der Dreharbeiten war Tracy tot. Nun weint die Filmwelt um ihre Katharine Hepburn, die stets würdevoll, aber nie unnahbar wirkte. Zu gute kam der abenteuerlustigen Lady, die im hohen Alter noch den Flugpilotenschein machte, stets eine gehörige Prise Selbstironie wie beispielsweise in „The African Queen“ (1952), wo sie als alternde Jungfer mit dem rauhbeinigen Humphrey Bogart durch die Sumpfgebiete des Urwalds schippert. Diesen Humor bewahrte sich Katharine Hepburn, die Interviews verabscheute, auch, wenn die Kameras abgeschaltet waren: Angeschrieben mit der Bitte um ein Autogramm, ließ sie erst ihre Sekretärin antworten: „Frau Hepburn gibt leider keine Autogramme.“ Nochmals nachgehakt, schrieb sie selbst handschriftlich zurück: „Ich habe mich über Ihre Post gefreut, muß Ihnen aber mitteilen, dass ich wirklich keine Autogramme gebe. Herzlichst: Katharine Hepburn.“

Marc Hairapetian