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"Was wollen Sie mit dem Namen am Theater?" -"Burgtheater-Direktor werden!"

Zum 90. Geburtstag: Schauspieler und Poet Krikor Melikyan im Gespräch

von Marc Hairapetian

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Im Jahr 1924 wurden zwei große armenische Künstler geboren, die nicht nur beide noch leben und sich weitgehend guter Gesundheit erfreuen, sondern nach wie vor aktiv sind und sich auch gegenseitig kennen gelernt haben: Doch während Sänger und Schauspieler Charles Aznavour, der seinem 90. Ehrentag am 22. Mai in der Berliner o2world mit einem vielumjubelten Konzert beging (und später sogar noch mit dem Verfasser dieser Zeilen im Backstage-Bereich weiter feierte), berechtigter Weise immer noch weltweit in aller Munde ist, droht der runde Geburtstag des Akteurs und Poeten Krikor Arakel Melikyan am 5. Oktober fast unbemerkt von der Öffentlichkeit vonstatten zu gehen. Das liegt vor allem an der bescheidenen Persönlichkeit des Wahl-Berliners, der stets sein Werk für sich sprechen liess, anstatt die Werbetrommel für sich zu rühren. Dabei hat der gebürtige Kölner deutsche Theater- und Fernsehgeschichte mitgeschrieben, zahlreiche Kontakte zu berühmten Zeitgenossen gehegt und gepflegt sowie unzählige wunderbare Schriften publiziert, darunter viele zur armenischen Geschichte und Kultur.
 Den schauspielerischen Ritterschlag erhielt Krikor Melikyan von höchster Stelle: An der Theaterschule Düsseldorf wurde er ab 1947 vom legendären Gustaf Gründgens (1899 - 1963) ausgebildet, der ihn auch später ans Düsseldorfer Schauspielhaus holte. Mit den Schauspielerstars jener Tage wie Horst Caspar, Antje Weisgerber oder Paul Hartmann stand er gemeinsam auf der Bühne, die für ihn die Welt bedeuteten. Es folgten Engagements an Helene Weigels Berliner Ensemble und Erwin Piscators Volksbühne. Später kamen circa 50 Kino- bzw. Fernsehfilme und Synchronarbeiten dazu. Außerdem schrieb (und schreibt!) der zweifache Vater Theaterstücke, Hörspiele, Rundfunkfeatures, Buchkritiken. Er hat ein Faible für Lesungen, am liebsten trägt er aus den Werken seines Landsmanns William Saroyan (1908 - 1981) vor.
 Ein Besuch bei Krikor Melikyan in seiner im Hansaviertel gelegenen, großräumigen Altbauwohnung kommt einem Museums-Besuch für Theater- und Kunstgeschichte gleich. Der Balkon-Aussicht vom vierten Stock auf die Spree ist reizvoll. Hat man sich davon losgelöst, mag man den Blick von den zahlreichen Fotografien (darunter Bilder der eigenen Karriere und von all seinen mittlerweile leider verstorbenen Hunde) und den (mitunter erotischen Frauen-)Gemälden nicht wenden, wenn, ja, wenn da nicht, der überaus liebenswürdige Herrscher über dieses Reich wäre: Man mag es kaum glauben, aber der mittelgroße Gentleman mit dem markanten Schnurrbart könnte man gut 20 Jahre jünger schätzen, als das Alter, dass im Pass angeben wird und unaufhaltsam auf die magische Zahl 90 zusteuert.
 Während es sich bei einer Tasse guten Tees mein Sibirischer Wolfshund Husky Mix Felix zu den Füßen des Hundefreunds Melikyan bequem gemacht hat und meine Freundin Oanh die idyllische Szene fotografiert, sprechen wir über das Leben eines Mannes, dass aufgrund seiner Vielfältigkeit und seiner Höhen und Tiefen mehr als zwei Buchdeckel füllen könnte. Allein die Familiengeschichte Melikyans ist tragisch - so wie das Schicksal der meisten Armenier, die im Osmanischen Reich bereits Ende des 19. Jahrhunderts Repressalien im Sultanat erdulden mussten, noch bevor ihnen auf Anweisung des Jungtürkischen Innenminister Talaat Pascha "das Recht zu arbeiten und zu leben" gänzlich verweigert wurde. So wurden Krikor Melikyans aus der Nordtürkei stammende Großeltern von Türken und Kurden umgebracht. Sein Vater lag mehrere Stunden ohnmächtig unter dem Leichnam seiner Mutter, die sich schützend auf ihn geworfen hatte und ihm somit das Leben rettete. Aufgewachsen in einem Jerusalemer Waisenhaus wurde er von dessen deutschen Leiter nach Köln geschickt, um das zu studieren, was man heute Grafikdesign nennt. In der Domstadt lernten sich auch Krikors spätere Eltern kennen. Wie ihr Literatur und Theater begeisterte Sohn später den Krieg überlebte, ist eine abendfüllende Geschichte. Sie soll hier nur kurz angerissen werden, weil wir uns an dieser Stelle doch in erster Linie mit dem Künstler Krikor Melykian beschäftigen wollen.
 "Ich meldete mich bei der Marine in der Hoffnung, dass die Front dadurch weiter für mich entfernt sein würde.", sagt der überzeugte Pazifist. Als Oberfähnrich zur See, was dem Rang eines Unteroffiziers zu Lande entsprach, kam er tatsächlich nicht in die direkte Schusslinie. Kurze Zeit darauf sollte er einen Trupp von 500 armenisch stämmigen Soldaten in der Deutschen Wehrmacht befehligen, doch er wurde kurzerhand nach Dänemark abkommandiert, was ihn wahrscheinlich vorm Tod bewahrte. Noch vor seiner künstlerischen Karriere wäre er auf Empfehlung seiner Vorgesetzten beinahe zum "Vorleser" Hitlers geworden: "Wahrscheinlich hätte ich ihm Karl May vorlesen sollen...", meint er scherzhaft, um ernster fortzufahren: "Doch ich wurde schließlich aufgrund meines armenischen Namens von ihm als persönlichen Rezitator abgelehnt. Auch besser so."
 Apropos Karl May: Schon zu Beginn seiner Theater-Laufbahn spielte Melikyan 1950 auf der Naturbühne Blauer See in Ratingen bei den dort stattfindenden zweiten Karl-May-Spielen die Titelrolle Winnetou unter der Regie von Johannes Felgner. Das weibliche Publikum war vom armenischen Apachen mit dem glutvollen Blick sehr angetan, sein Förderer Gustaf Gründgens hingegen regelrecht erbost: "Ich wollte Sie ans Düsseldorfer Schauspielhaus engagieren - und Sie spielen hier in solch einem trivialen Mist mit!" Über dem "Umweg" Bochum und Intendant Saladin Schmitt ("Als ihn Goebbels fragte, warum er sich Saladin nennen würde, entgegnete dieser mutig: ´Ihretwegen nenne ich mich doch nicht Beowulf!´), erhielt Melikyan doch noch ein Engagement am Düsseldorfer Schauspielhaus in den Jahren 1954-1956.
Größere Ansicht anzeigen  Wie kam der damals junge Heißspund mit der Respektsperson Gründgens aus? "Meine Schlagfertigkeit muss ihm irgendwo imponiert haben. Als ich zur Aufnahmeprüfung erschien, fragte er mich unvermittelt: ´Was wollen Sie mit dem armenischen Namen am deutschsprachigen Theater?´ Ich entgegnete kühn: ´Burgtheater-Direktor werden!´ Eine Anspielung auf den Armenier Raoul Aslan, der von 1945-1948 tatsächlich Direktor dieses für mich heiligen Grals war und später sogar Trauzeuge des unvergessenen Oskar Werner wurde. Jedenfalls nahm man mich dann mit zwei anderen männlichen Bewerbern unter 150 weiteren an." Noch heute schwärmt Melikyan von Gründgens: "Ich fand ihn sehr offen, wenn ich ihm mit meinen Wünschen kam. In meiner Studienzeit hatten wir an der Theaterschule zu wenig Lehrkräfte. ´Kommen Sie doch selber!´, bat ich ihn. ´Ich bin hier Intendant, Rollenträger und Regisseur, da kann ich nicht noch Lehrer sein.´ Ich liess nicht locker: ´Sie müssen uns mindestens einmal in der Woche das Gefühl geben, dass Sie die Entscheidung haben, ob jemand etwas richtig oder falsch gemacht hat, ob er auf der Bühne bestehen wird oder nicht. Geben Sie uns mit ihrer Erfahrung Hilfestellungen!´ Und er tat es!"
 Gründgens vermittelte ihm sogar den Kontakt zu einem deutschen Zeitzeugen des Völkermords an den Armeniern: "Mitten in der Textprobe zu der Shaw-Komödie ´Kapitän Brassbounds Bekehrung´ fragte er mich, der vor ihm und den anderen Kollegen als Matrose mit Vollbart stand: ´Kennen Sie eigentlich Armin. T. Wegner?´ ´Ja, der ist doch im Exil gestorben´, entgegnete ich. ´Nein, er lebt in Positano.´ Ich war vollkommen perplex:
´Das ist für mich neu und überraschend und verändert meine Weltanschauung!´ Gründgens lächelte: ´Ich gebe Ihnen hier seine Adresse.´ Und dann probten wir weiter, während sich mancher namhafte Kollege wohl gewundert hat, wer dieser Armin T. Wegner wohl sei..." Mit dem expressionistischen Schriftsteller, der als Sanitäter im Ersten Weltkrieg heimlich zahlreiche Fotos von den armenischen Genozid-Opfer machte und Jahre darauf Hitler einen offenen Brief schrieb, der ihn ins KZ brachte, verband Melikyan später eine innige Freundschaft. Mit zahlreichen anderen bedeutenden Künstlern stand und steht er in Verbindung, so mit Hollywood-Schauspieler Eric Bogosian ("Talk Radio"). Während mein Vater als Mitbegründer des armenischen Kulturvereins Aram Khachaturian in den 1970er Jahren auf dessen Wunsch Frankfurt am Main und sein Nachtleben zeigte, fuhr ihn Krikor Melikyan durch Berlin: "Aram war einer der herzlichsten Menschen, die ich je kennenlernte. Er lud mich sogar nach Moskau ein und bat mich, seinem Sohn, der als Schauspieler den Hamlet geben sollte, auf die Prinzenrolle vorzubereiten." Im Lauf des langen Gespräches stellen wir plötzlich fest, dass wir beide sogar in derselben TV-Serie ("Liebling Kreuzberg") mitwirkten - er als älterer Automechaniker, ich als Neffe von Manfred Krug, wenn auch nicht in der gleichen Episode.
 Was zählt ein Krikor Melikyan zu den Highlights seiner Schauspielerkarriere? "Vor allem die Theaterfestspiele, darunter noch als Student 1949 im schottischen Edinburgh, wo ich als erster von drei Engeln den ersten Teil von ´Faust´ in der Gründgens-Inszenierung einleiten durfte. Die Besetzung war wirklich einmalig: Gründgens als Mephisto, Horst Caspar spielte für den noch nicht éntnazifizierten´Paul Hartmann die Titelrolle und seine Frau Antje Weisgerber das Gretchen. Eine Aufführung musste für 20 Minuten unterbrochen werden, weil es auf einmal Flugblätter gegen Gründgens´, den man seinen angeblichen Schulterschluss mit den Machthabern im Dritten Reich verübelte, regnete´. Nach dieser Zwangspause war der Zuschauersaal dann voller Blumen. Die Flugblätter lagen scheinbar unberührt auf dem Boden. So, als wollte man sagen: Entschuldigt die Störung und spielt bitte weiter!´Es wurde noch ein einzigartiger Theaterabend. Und ich kann nur sagen, dass mir Kolleginnen wie Antje Weisgerber erzählten, dass Gründgens vielen Leute im der Hitler-Ära das Leben gerettet hätte."
 Viel Spass machte Melikyan auch 1968 - und hier schließt sich der Kreis - die Rolle des Häuptlings Großer Bär - in "Der Schatz im Silbersee". Karl Mays wohl berühmtester Roman wurde in der Deutschlandhalle aufgeführt. Gustavo Rojo (inzwischen 91) spielte Winnetou, Bruce Low Old Shatterhand und Melikyans (Bühnen)Sohn "Kleiner Bär" Raimund Harmstorf, der 1971 als Kartoffel zerquetschender "Seewolf" ebenfalls Fernsehgeschichte schreiben sollte: "Als Schauspiel-Anfänger holte er sich noch zahlreiche Tipps bei mir. Das Stück war wirklich ein Spektakel. In der Mitte des Ovals wurde Sand geschüttet, wo wir stilecht auf Pferden reiten konnten. Außerdem gab es für die Kanufahrten ein riesiges Wasserbecken. Dem ´Schatz im Silbersee´ verdanke ich meine Liebe zum Reitsport. Ich kaufte mir zwei Pferde und gewann mit ihnen einige Rennen in Hoppegarten."
 Neben Engagements und Regiearbeiten in der Schweiz erinnert sich der Hauptpreisträger der Bundesfilmförderung (1973) für sein Drehbuch zum nichtrealisierten Projekt "Alkestiade ´73" auch gerne an seine TV-Auftritte in Strassenfegern wie "Stahlnetz" (1968, als Kriminalobermeister Ullrich in "Ein Toter zuviel") oder "Ein Mann will nach oben" (1978, zusammen mit "enfant terrible" Mathieu Carriere) zurück. Und an die Gründung des ersten Off-Theaters Westberlins: Das "Studio Diogenes" leitete er zusammen mit seinem Kollegen Günter Meisner (1926 - 1994). Hier führten die beiden Vollblut-Schauspieler häufig moderne französische Autoren auf, die dem Absurden Theater zuzurechnen waren. Seine letzten Hauptrolle spielte Melikyan, der auch im Horror-Thriller "Orchideen des Wahnsinns" (1986) zusammen mit Diana Körner zu sehen war, 2005 in Thomas C. Mayers Kurzfilm "Der Fund". "In Rente" geht der mehr als rüstige Grandseigneur, der täglich Frühsport macht und mindestens eine Stunde Fahrrad fährt, allerdings noch lange nicht: Er gibt Rezitationen (bevorzugt in der armenischen Gemeinde von Berlin) und schreibt weiter, Literaturrezensionen, aber auch kritische Briefe an den türkischen Präsidenten Erdogan, die "natürlich" unbeantwortet blieben. Alles Gute zum 90., lieber Krikor Melikyan!

Marc Hairapetian am 13. September 2014 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de

www.krikor-melikyan.de